Da es inzwischen fast schon Standard ist, Religion zu verfluchen und sie (wieder) als Grund allem Übels zu sehen, mehren sich auch die Diskussionen darüber, was Religion ist und auch die Fragen, warum ich „die Kirche“ verteidige.
Für alles im Leben gibt es Gründe und ich möchte versuchen, meine Gründe hier niederzuschreiben. Denn sie haben nicht mit dem zu tun, was heute ist, aber viel mit dem, was ich mir von der Kirche und allen Religionsgemeinschaften wünschen würde.
Weiter weg in meiner Familiengeschichte gab es diesen einen Pfarrer Müller in einem winzischen Dorf in Thüringen, der Papiere ausstellte. Papiere, die halfen, andere Papiere zu bekommen. Er war niemand, der erst eine Taufe wollte. Er half einfach. Ich habe nichts über ihn in Erfahrung bringen können. Die Bücher gibt es nicht mehr. Ich weiß nicht, ob er es nur für die zwei Schwestern tat, oder aber auch für andere. Das ist die eine, kurze Geschichte.
Die zweite, die die mein Leben direkt betrifft, hat mit meiner Kinderheit in Berlin zu tun. Man kann es wohl heute nicht mehr erklärbar machen, was Kirche in den 80er Jahren hieß. Die Kirche in Pankow, oft vergessen in ihrer Rolle in der Opposition. Die Zionskirche mit der Umweltbibliothek. Das ist die Welt, in der ich aufwuchs. Nicht, weil wir in der Kirche waren, wir waren ja nicht mal Christen. Ich lebte in dieser Welt, weil dort denkende Menschen waren. Menschen, die einen anderen Weg wollten. Menschen, die frei und offen dachten und das Land verändern wollten. Pfarrer Simon, der ohne Angst schien, die Tore öffnete. All das geschah ohne Missionsgedanken. Es ging um Menschlichkeit. Er half mit einfachen Mitteln. Die Kirche bedeutete für mich als Kind immer Ort des Schutzes, der Ruhe und der Welt, in der gesprochen wurde. Ab meinem siebten Lebensjahr spielte sich mein Nachmittagsleben hauptsächlich in Mitte ab. Hier im Umfeld der Kirche passierte so viel an Entwicklung, was heute in Vergessenheit geriet.
Das Mahnmal für Dietrich Bonhoeffer von meiner Mutter initiiert, als Auftrag an Karl Biedermann. Es wurde erst nach langen Kämpfen 1997 aufgestellt, wo es schon vor fast zehn Jahren hätte stehen sollen. Widerstand der Kirche aber war kein Thema für den Staat, Biedermann schon gar nicht. Heute steht es da, abseits der Kirche. Mit den Geschichten über Bonhoeffer und dem Widerstand der Kirche wuchs ich auf. Mit der Zionskirche und Pankower Kirche verband ich meine Kindheit. Mein Großonkel ging in Leipzig von Anfang an zu den Friedensgebeten, er war bei jeder Demonstration dabei. Ihn, der schon bei den Aufständen 1953 in Leipzig vor den Panzern fliehen musste, wollte nicht noch einmal fliehen.
Wir sind eine aufständische Familie, im Kleinen. In meiner Kindheit hieß Kirche Politik. Kommt man heute in Pankow in die Kirche, oder auch in die Zionskirche, sind es Kirchen, wie so viele in der Stadt. Inzwischen gut gefüllt mit Zugezogenen, für die Christentum nichts Politisches, kein Bekenntnis in dem Sinne, wie ich es lernte. Man ist es eben, weil die Familie es war und spätestens, wenn die Kinder kommen, tritt man wieder ein. Es wurden Kirchen, wie alle anderen, unpolitisch, nur aber mit einer anderen Geschichte.
Sehe ich heute, was bei uns im Land passiert, wie mit den Flüchtlingen umgegangen wird, frage ich mich, wo die Kirche ist. Man mag sagen, Politik ist nicht Aufgabe der Kirche. Ich denke doch, sie ist es. Wer, wenn nicht die Religionsgemeinschaften sollte aufstehen für Menschlichkeit und Fürsorge und wenigstens versuchen, die Blicke darauf zu lenken? Wer, wenn nicht die Kirchen, hätte das Gehör und die Strahlkraft? In diesem Land, in dem soviel getauft wird, ist inzwischen so wenig dahinter. Mich irritiert das sehr. Einige Pfarrer sind in meinem Freundeskreis, von einigen kann ich mir vorstellen, dass sie die Tore öffneten, von anderen wiederum nicht.
Für mich ist Kirche eben das, was sie war, was sie wieder sein könnte. Ein Ort für Gedanken, neu und manchmal auch gefährlich, aber offen und frei. Ich weiß nicht, ob so etwas, wie vor 25 Jahren in der Kirche heute möglich wäre. Ich hoffe es. Traut Euch mehr!
Schreibe einen Kommentar