Die Stille in den Wörtern

Weites, schneebedecktes Feld mit einer Reihe kahler Bäume am Horizont unter bewölktem Himmel

Ich beobachte es schon länger: das Schweigen lieb gewonnener Blogschreiber:innen.

Manchmal, das gebe ich gern zu, kommt das Leben dazwischen, oder man hat das Gefühl, alles gesagt zu haben. Ich kenne das – immer wieder. Ich weiß aber auch um die Sehnsucht nach diesem Medium, das überholt scheint, um doch gleichzeitig in Zeiten von Firmendominanz, Algorithmen etc., eine Alternative sein kann. Das Medium, dem wir einst so viel anvertrauten, das Brücke sein konnte, das die Stillen laut machte und das Raum gab für mehr als 140, 280 oder was weiß wie viele Zeichen. Es war die Zeit vor der Ökonomisierung der Buchstaben, in der es nun gilt, mit möglichst wenigen von ihnen maximale Aufmerksamkeit zu generieren. Nichts für stille Denker:innen. Sie können hier nur verlieren.

Das klingt alles sehr pessimistisch, zeigt lediglich mein Nachdenken darüber, warum ich selbst nicht mehr schreiben kann, warum mir die Worte zu fehlen scheinen, die mir einst so wichtig waren. Wichtig, um meine Gedanken zu ordnen, wichtig mir ihrer gewiss zu sein und sie durch das Schreiben in die Realität zu bringen. Das gelang jahrelang sehr gut und zeigte mein Vertrauen darin.

Das Vertrauen gibt es nicht mehr. Seit dem 7. Oktober hat sich vieles geändert, wenn nicht alles – trotz allem. Die Polarisierungen, das quasi erzwungene entweder-oder, macht es unendlich schwerer, die eigene Mitte zu halten – innen und außen. Ein „normales“ Leben zu führen – trotz all des Schmerzes, der uns umgibt. Aber was ist noch normal? Ich simuliere wie im Spiel. Das Innere kennen nur sehr wenige. Ich schütze es mehr denn je. Ich bin nicht mehr bereit zu erklären, was selbstverständlich sein sollte, selbstverständlich schien, ich habe keine Kraft. Noch weniger will ich polarisieren. Das hilft niemandem.“Stop trying to win the argument, focus on changing reality” sagte ein kluger Mensch. Ich versuchte es lang, nichts erscheint in der Zeit des Populismus sinnloser als diese Versuche. Menschen sind zu ihren eigenen Algorithmen geworden. Das Schlechte gewinnt die meisten Punkte. Wir brauchen das Netz nicht mehr. Es ist verinnerlicht.

Mir sind Worte wichtig. Ich beherrsche nicht die Meisterschaft, zu der manche Autor:innen fähig sind. Doch ich bemühe mich. Kommata, Apostrophe etc. sie haben eine Bedeutung – die immer weniger ge- und erkannt wird. Das musste ich selbst im Zuge einer Klage erfahren, in der ich mit gesetzten Absätzen, Bindestrichen und Co. nicht zu argumentieren vermochte. Dabei war auch hier alles ganz bewusst gesetzt, gerade an diesen Stellen. Ich gewann am Ende aus anderen Gründen. (Danke Grundgesetz!)  

Doch es hat mich gelehrt, dass das Geschriebene so durchdacht es sei, nicht schützt. Das wiederum macht mein doch einst entspanntes Bloggen so schwer: Ich verstehe diese Regeln nicht. Gibt es die überhaupt? Wenn ich mich nicht darauf, auf meine Kompetenz, verlassen kann, da sie heute keine Rolle mehr zu spielen scheint, wenn alles gewollt falsch verstanden werden kann und wird, was dann? Sich in Belanglosigkeiten finden? Nur noch über Bücher und Ausstellungen schreiben? Tagebuchbloggen? Ich weiß es nicht, es reizt mich wenig.

In den letzten Jahren schrieb ich auf Papier. Quasi nichts davon werde in Pixel umgesetzt. Doch ich konnte denken damit. Nur fehlte hier wieder eine mitdenkende Reaktion, ein Spiegel. Allein denken ist für einen Moment schön, doch bringt es den Menschen nicht weiter. Nicht umsonst lernen wir im Judentum nicht allein. Die Gefahr der Radikalisierung kann durch den Widerspruch gedämmt werden. Ich möchte mit Menschen denken und fürchte es doch gleichzeitig. Vielleicht habe ich zu viel erfahren in den letzten Jahren, vielleicht höre ich zu viele Zwischentöne, zu viele Radikalitäten, vielleicht bin ich auch einfach nur müde der Erklärungen, die doch nicht ankommen. Vielleicht verzweifelt an der Welt. Ich weiß es nicht. Doch ich weiß, ich bin nicht allein.


Foto: Mecklenburg, Juna Grossmann, 2024


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6 Antworten

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  1. Avatar von lieberAnonym
    lieberAnonym

    Ich kann das gut nachvollziehen. Mein Blog ging Ende letzten Jahres offline. Hintergrund ist meine Angst vor den Faschisten und die Ohnmacht, miterleben zu müssen, wie sie immer mehr an Zulauf gewinnen. Da habe ich den Eindruck, mich innerlich auf „Abtauchen“ oder „Flucht“ vorbereiten zu müssen, aber ja nicht auf öffentliche Präsenz. Dass der Angriff der Hamas sich ähnlich auswirkt, ist sicher leider genauso für Menschen mit jüdischem Hintergrund traumatisierend, wie für LGBT* Menschen der Aufstieg der Faschisten. Ich schreibe hier lieber Anonym, weil ich inzwischen massiv Angst habe und mich nicht mehr öffentlich äußern will. Leider unternimmt die Regierung ja auch nichts beim Thema AfD-Verbot – das verstärkt mein ungutes Gefühl leider nur noch mehr.

  2. Ich kann Dich gut verstehen. Mein eigener Blog war ja von je her ein Scherbenhaufen und meine eigenen Textversuche mehr für mich denn für Leser*innen. Und doch schreibe ich auch viel auf Papier, um der eigenen Gedanken Willen, um wenigstens da einen Pfeiler zu haben, an dem ich mich festhalten und an dem ich mich immer wieder finden kann.

    Und wer weiß. Wenn genug des Privaten geschrieben ist, vielleicht gebiert es dann wieder Worte. Für andere, für Freunde, für Menschen, die es wohlwollend aufnehmen. Schön wäre das schon.

  3. „Müde der Erklärungen, die nicht ankommen.“ Ja, das ist so. Ich habe in den letzten Jahren zu viel Taubenschach spielen müssen und den Eindruck gewonnen, dass man Menschen nicht überzeugen kann. Ich bin keine, die fähig ist, sich zu exponieren. Wenn ich rede, hört keiner zu. Also trage ich meinen Omas gegen Rechts – Button wo ich gehe und stehe, in der Hoffnung, dass ihn jemand sieht und sich zumindest ein paar Gedanken macht und nehme an allen Demos gegen Rechts teil, die in meiner Umgebung stattfinden. Das sind Kleinigkeiten, aber irgendwie habe ich immer noch die Hoffnung, dass aus vielen Kleinigkeiten ein Damm wird, der den Vormarsch der Rechten aufhält. Ich bin ja zum Glück nicht die einzige.

  4. Ausgerechnet mit Ihrem Blog über das Schweigen und die Unfähigkeit zu schreiben, der durch Zufall in meiner TL auftauchte, habe ich Ihre Seite „irgendwie jüdisch“ mit einem riesigen Fundus an Gedanken, Beobachtungen und Ideen kennengelernt. Es ist fast so, als hätte ich den Anschlusszug zu einer Reise verpasst und gesehen, wie er vor meiner Nase den Bahnhof verlässt. Aber – das ist meine Hoffnung – so wird es bestimmt nicht kommen.
    Ich weiss nicht, was genau Sie erschüttert und Sie zum Schweigen bringt und Ihnen die Worte raubt. Aber es wird ein Gemisch von Entwicklungen in dieser Welt sein, die gerade viele von uns rat- und mutlos macht, angefangen von der Entwertung von Wahrheit, der Spaltung durch Lügen, der Verblendung durch falsche Versprechen bis zum Leugnung menschlichen Leides, weil es fragwürdigen Prinzipien im Wege steht, wo auch immer. Das Recht auf ein Leben in Frieden und Unversehrtheit, weicht dem Recht auf Dominanz oder dem Recht auf gute Geschäfte. Eigentlich sollten die Ziele für alle doch klar und erfüllbar sein, aber sie werden als kompliziert dargestellt, weil wir das Ziel vor Augen verloren haben, das friedliche Miteinander zum Wohle aller.
    Aber es gibt auch Gegenbewegungen, zumindest im Kleinen. Weg von X, weg von Überschriften, weg vom Entweder-Oder, weg von Denunzierung und Beleidigung, weg vom Meinen-ohne-zu-wissen…
    Vielleicht empfinde ich die Hinwendung zu echten Zeitungen mit gutem Feuilleton, zu langen Texten und Büchern stärker als sie ist. Aber es gibt sie und sie ist ein Keim für neue Hoffnung, der nicht übersehen werden sollte. Nur den Verlust, die Niederlage und die Ignoranten zu sehen und nicht die kleinen Siege, ist bereits Kapitulation. Die Wahrheit beginnt meist klein und braucht die Chance, sich auszudehnen, z.B. in einem Blog oder in einem Gespräch. Mir hilft das. Müdigkeit schwindet in der Bewegung, Erschöpfung in der Teilung der Lasten.
    Danke für Ihre Arbeit, die ich gerade erst beginne zur erkunden.

  5. Keep on blogging!

    Wie Gerd habe ich dieses Blog gerade erst entdeckt. Und lese gerne darin, in dem so viel Sachliches, Differenziertes, Überlegtes steckt.

    Bitte: Keep on blogging!

  6. Avatar von Christine Engfer
    Christine Engfer

    Liebe Juna, auch wenn der Eintrag schon älter ist, nehme ich ihn als Aufhänger um Ihnen zu schreiben.

    Ich verstehe ihre Erschöpfung angesichts der Tatsache, dass auch im Netz die zu gewinnen scheinen,
    die sich nicht zusammenfinden wollen, nichts lernen möchten, laut in dem Selbstverständnis badend,
    dass sowieso nur sie allein Recht haben.

    Ich bin nicht geschult in Wortsensibilität und -gewandtheit, ich tue mich da eher schwer. Bitte legen sie meine Formulierungen daher nicht auf die Goldwaage. Ich möchte ihnen nicht zu Nahe treten, bitte glauben Sie mir das.

    Es tut mir gut – ein komischer Satz in diesem Zusammenhang, aber so ist es – ihren Blog zu lesen.
    Durch Sie erhalte ich einen kleinen Einblick in eine Welt die ich nicht kenne,
    die sonst an mir vorbei geht weil sie mich nicht betrifft. Weil ich im Alltag in einer Blase/Community lebe, die sich mir Ihrer quasi nicht zu überschneiden scheint.
    (Und damit meine ich bei weitem nicht nur ihr Jüdischsein und mein Christsein.)

    1. Es tut mir gut weil Sie mir eine andere Sicht der Dinge spiegeln können und ich dadurch ins Nachdenken komme.
    Beispiel: Alttestamentarisch hatte für mich bis zu ihrem Artikel nie eine negative Konotation sondern bezeichnete
    schlicht, dass der Vers aus dem alten Testament stammt. Hier habe ich z.B. was gelernt.
    Beispiel: Ich habe durch ihre Gedanken erkannt, auf was ich achten muss um die noch bestehenden Gräben zwischen Juden und Nichtjuden überhaupt erst zu sehen. Eine offene Missbilligung des Anderen habe ich hier bei uns
    nämlich noch nicht mitbekommen. Was ja auch schön ist, aber offensichtlich sehr oberfächlich wahrgenommen war.

    2. Es tut mir gut, weil sie mir Fragen beantworten, die ich mir stelle und nicht wüsste wo ich sonst eine gute Antwort dazu bekäme.
    Beispiel: Die Tochter fragt mich ob Jüdinnen auch Gebetsriemen nutzen und warum weil sie über den Unterricht hinausdenkt.
    Beispiel: Ich möchte verstehen, wie die jüdische Sicht auf ein aktuelles politisches Thema ist. Das finde ich in ihrem und anderen Blogs von Juden und Jüdinnen.

    3. Und ich erhalte dadurch Zugang zu etwas was ich von alleine nicht einmal wahrgenommen hätte.
    Beispiel: Sie schreiben von Kunst und Kulturveranstaltungen und was sie daran bewegt.

    Das alles ist für mich sehr wertvoll. Ich kann nur umdenken, wenn ich andere Meinungen höre.

    Bei uns in Baden ist es nicht üblich, privat offen Meinungen mit nicht nachstehenden Menschen auszutauschen,
    wir schweigen oft einfach, wenn wir nicht die Meinung des anderen teilen. Das ist (leider) Teil unserer Kultur.
    Sie munitionieren mich argumentativ auf. Machen mir mit ihren öffentlich zugänglichen Gedanken Mut, das mir
    anerzogene höfliche Schweigen zu brechen.

    Ich möchte ihnen dafür danken.

    Auch wenn es nach diesem Bekenntnis sehr selbstsüchtig klingt – ich würde mich sehr freuen, wenn sie weiter schreiben.

    Viele Grüße,
    Christine