Dieser Beitrag geht nicht auf mich zurück. Claus Sassenberg von der Messsucherwelt inspirierte mich, in meinem Fotoarchiv und in Erinnerungen zu stöbern. Wie auch er gleich vorab: Ich will hier keine Diskussionen. Es sind die Bilder dieser Tage, Bilder, die ich aufnahm und meine Erinnerung prägen.
Im März 2020 war ich mit dem Buch unterwegs. Meine letzte Reise brachte mich nach München zu ausARTen. Ich blieb noch eine Nacht länger.

Ich kann mich nicht mehr daran entsinnen, wie die Regelungen damals waren, ob es schon welche gab. Doch ich erinnere mich daran, dass eine gewisse Melancholie über allem lag und vielleicht auch schon das Gefühl, dass die Reisen nun erst einmal beendet wären.
Im April hatten wir uns wohl schon eingerichtet. Die ersten warmen Strahlen der Sonne schienen aufs Haus. Mangels Balkon oder gar Garten rissen wir die Fenster auf, platzierten Stühle und den Campingtisch davor und genossen so, wie wir es eben gerade durften.

Der April blieb nicht sonnig, doch anders als in anderen Regionen der Welt durften wir raus auf die Straße ohne Zeitbeschränkungen.

Auch wenn wir raus durften und ich auch regelmäßig ins Büro ging (an Langeweile kann ich mich nun wirklich nicht entsinnen), verlegte sich die Fotografie auf die Innenräume. Pessach stand an, auch in der Community stellte man sich auf Onlineangebote um, Notfall-Haggadot wurden entsonnen, gar Singlevarianten. Viele mussten das Fest alleine begehen. Aber irgendwie ging es mit Enthusiasmus und Miteinander.

Das Einkaufen wurde – sagen wir anders. Ich mied die großen Supermärkte, musste ja schon im Büro Menschen begegnen, Risiken also vermeiden. Dieses Foto machte der Einkäufer des Haushalts.

Irgendwann doch der Entschluss, sich dieses „Spazieren“ mal anzuschauen. Ich empfand es als fürchterlich, Menschenmassen waren in der Frühlingssonne unterwegs, Abstand kaum möglich. Zum Glück blieb die Straße, man drängte sich hingegen am Ufer.

Also doch lieber in den eigenen vier Wänden bleiben, so kein Bürotag oder Einkauf anstand. Ich begann, das Zuhause genauer zu untersuchen, die Kamera in der Hand – denn das vermisste ich wohl am meisten: Fotografieren. Kameras hatte ich genug, irgendwann wurde es mit den Filmen im Versand schwierig, aber ich hatte ausreichend vorgesorgt.

Die Stadt begann auf die Nerven zu gehen. Zwar war der Park nah, doch die Massen, die er zu bewältigen hatte, war zu viel für mich. Auch der Wald hatte inzwischen neue Wege. Wo zu Jahresbeginn nicht einmal Trampelpfade waren, schlugen sich nun breite Schneisen ins Unterholz. Ich begann, mich um die Stadtnatur zu sorgen.
Im Mai 2020 wagten wir den ersten Ausflug, nicht ohne vorher das Mietauto hinreichend zu lüften und zu desinfizieren. Die Angst fuhr dennoch mit, was wusste man damals schon?

Auf diesem Ausflug stand ein ausgebranntes Auto auf einem Parkplatz im Wald. Ein Blick hinein zeigte, dass nicht alles verbrannt war. Verschwörungserzählungen waren längst im vollen Gang.

In der Stadt hingegen waren bestimmte Schilder normal geworden. Ich weiß gar nicht, ob man das im zweiten Monat überhaupt noch so wahrnahm. Ich habe es erstaunlich wenig fotografiert. Das Wörtchen „verweilen“ bekam in diesen Wochen einen anderen Ton.

In der hiesigen Nachbarschaft fehlten die Tourist:innen, die spätestens im Mai in Horden einfielen. Die Clubs, deren Musik sonst immer durch die Luft waberte, waren still. Die Nachbarschaft rückte zusammen, man lernte sich kennen. Der Lieblingsspäti wurde öfter aufgesucht, damit er es übersteht, die Restaurants im Umfeld zum Abholen von Leckereien besucht. Ich genoss die Stille der Stadt, ich sehne mich noch immer danach. Es erinnerte mich an das stille Berlin meiner Kindheit. Ich weiß, dass die Zeit der stillen Stadt lange vorüber ist, doch die kurze Zeit der Stille, ich mochte sie.

Die Cafés durften wieder öffnen, die Parkplätze wurden umgewidmet, Stühle raus gestellt, damit man Luft und Abstand hatte. Ein wenig Hoffnung, dass sich die Fußgesellschaft den Stadtraum zurück erobern könnte

Irgendwann wurde in der Nachbarschaft ein Impfzentrum eingerichtet. Menschen, die sonst in der Unterhaltung, in den nachbarschaftlichen Clubs arbeiteten, wurden nun hier beschäftigt. Die Stimmung war gut. Oft beobachtete ich diese großartigen bunten Menschen, wie sie sich in den ersten Wochen vor allem um die sehr alten Menschen kümmerten, die zum Impfen kamen. Die Stimmung war trotz allem gut. Ich beobachtete die leuchtenden Augen der Alten scherzend mit den Jungen. Ich glaubte wieder an das Menschsein.
Dennoch begannen andere Stimmen immer lauter, unerträglich laut zu werden. In der Nachbarschaft tauchten Graffiti gegen den Impfstoff auf. Sie blieben nie lang und wurden übertüncht. Die Clubs, die über Monate geschlossen werden mussten, wurden deutlich, die Nachbarschaft trotz allem stabil.


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