Reden über die Angst

Wir müssen reden, reden darüber, dass nichts absolut nichts mehr seit dem 7. Oktober ist, wie es einmal war. Wir müssen reden über den Schmerz, der nicht aufhört. Die Angst, die uns begleitet, das Gefühl der Schutzlosigkeit.

Sieht man uns, sieht man mich, funktioniere ich. Ich spreche kaum darüber, was in mir vorgeht, wie der Schmerz und die Trauer um all die Menschen mein Leben beeinflusst. Spätestens seit dem 7. Oktober habe ich das Gefühl, nicht mehr schreiben zu können, keine Worte zu finden für die Überwältigung und wenn ich sie doch finde, so sind sie nicht öffentlich.

Die Abers sind zu groß geworden, zu häufig, ich habe keine Kraft mehr dafür. Also spiele ich mit nach außen Alltag, als wäre nichts. Doch das Nichts ist so gigantisch, so überwältigend, dass Verdrängung nicht hilft. Es gibt Tage, da habe ich es im Griff, ich versuche nicht daran zu denken, und dann bricht es doch auf.

Ich laufe durch die Berliner Straßen und kann die Graffiti kaum zählen. Den Impuls, sie zu sprühen, kann ich intellektuell nachvollziehen, nicht verstehen. Doch heißen sie vor allem eines: Das ist gefährliches Gebiet. Ich muss aufpassen. Nun weiß ich auch, dass ich nicht markiert bin, dass man mich nicht erkennen würde. Es geht um Gefühl und das ist nicht rational – zu viel Gewalt wurde erfahren in den letzten Monaten: physisch und psychisch. Denkt irgendwer, dass gänge spurlos vorbei, wir wären Übermenschen?

So bin vorsichtig, mein Blick ist weit und immer aufmerksam, es gibt keine Unbeschwertheit im Spaziergang. Oft bemerke ich es nicht mehr, es ist normal geworden. So schrecklich normal, so normal anstrengend. Was bei all dem auf der Strecke bleibt, sind die guten Kontakte, das Positive, das es doch braucht. Ich weiß das, doch die Kraft, die fehlt so oft. Die Welt wird kleiner. Menschen, denen nichts erklärt werden muss, sind rar, Menschen, die einfach nur sind. Ich verstehe so vieles selbst nicht. Wie also sollte ich erklären? Doch das wird verlangt, erwartet – oder ich denke, dass es so ist.

Ich weiß es nicht mehr – und ich habe auch keine Energie dafür. Ich will verdrängen. Ich will verdrängen können, doch ich kann es nicht. Gehen Sie mal mit gelber Schleife raus, geschweige denn Davidstern. Ich schäme mich, dass ich nicht mehr den Mut habe, aber irgendwann ist es einfach zu viel, so viel ist zu viel. Wenn ich denke, jetzt geht es, höre ich wieder von brennenden Synagogen, von Menschen, die das Haus kaum noch verlassen und immer wieder von Angst.

Doch die Angst, die sieht man nur, wenn man von ihr weiß. Deshalb müssen wir darüber reden. Nicht darüber, wie wir zu einer Politik stehen, auf die wenigstens von uns demokratischen Einfluss haben, nicht darüber, was für uns weit weg geschieht, sondern bei uns – überall auf der Welt. Der Schmerz ist weltumspannend, eine winzige Welt auf diesem Planeten umspannend.

Der Schmerz unterscheidet nicht, er ist da, er fragt nicht, wie man Netanjahu so findet oder ob man „Siedlungen“ unterstützt, er ist da und er geht nicht weg. Er wird auch nicht verschwinden, wenn endlich keine Waffen mehr sprechen, er wird auch da bleiben, wenn endlich alle Geiseln wieder zu Hause sind, wenn ihre Familien hoffentlich endlich etwas zur Ruhe kommen können, er wird bleiben, wenn junge Menschen nicht mehr in einen Krieg ziehen müssen, wenn sie wieder ein Leben haben können, überhaupt sich ein Leben aufbauen können, endlich eine Zukunft haben.

Der 7. Oktober grub seine Gewalt in uns, er hat eine Dimension des Hasses offenbart, die wohl so gewaltig erscheint, dass sie schnell wieder ausgeblendet wurde in der Welt. Mit jedem Tag mehr gräbt der Schmerz sich tiefer – doch es ist auch an uns, sich nicht davon zerstören zu lassen, nicht von der Angst überwältigt zu werden, sein Leben nicht darauf zu fokussieren. Das gelingt an manchen Tagen, an anderen nicht.

Es wird kein vorher mehr geben, wir leben im danach.

Vielleicht ist es auch so, dass ich nie wieder werde schreiben können, wie es einmal gelang. Doch anders vielleicht und vielleicht doch mit einer anderen Art der Freude, die ich darin einst gewann. Dazu muss ich Abschied nehmen vom vorher. Noch kann ich es nicht. Wir werden sehen. Die Angst wird mich nicht fressen, doch sie ist da und wir sollten darüber reden, sie sichtbar machen in ihren Ausprägungen. Sie ist nicht irgendwas, sie ist nicht nur ein Wort, sie ist in uns und wirkt in uns, in jedem anders.

Selbst aber sein Menschsein in ihr verlieren, das darf nicht geschehen, nirgends.


Foto von Anemone123 from Pixabay


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6 Antworten

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  1. Betrifft nicht Dich, betrifft vielmehr uns, es liegt nämlich in unserer Verantwortung, was Ramona Ambs hier sagt:

    https://www.hagalil.com/2024/12/die-palaestinenserisierung-von-weihnachten/

    „(…) Für den Anfang würde es ja vielleicht schon mal reichen, über den eigenen Tellerrand zu schauen und- wie es zu Weihnachten so schön heißt: sein Herz zu öffnen für die Wahrheit….“

  2. hier nochwas, auch von Ramona Ambs, beeindruckend:

    https://www.hagalil.com/2024/10/wohngemeinschaften/

  3. Seit gut einer Woche lese ich immer wieder mal einen Ihrer vielfältigen Blogeinträge – im Rückwärtsgang. Ich dachte, es sei besser zuerst die aktuelleren Beiträge zu lesen und dann die früheren.
    Doch an diesen Worten über die Angst erkenne ich, dass diese Reihenfolge auch Nachteile hat. Ihren Beitrag zu der „Stille in den Wörtern“ verstehe ich erst jetzt richtig und verstehe auch, worin der Unterschied verschiedener Perspektiven liegt, Perspektiven, die wir nicht freiwillig gewählt haben. Das Entsetzen, die Wut und die Abscheu über die Greueltaten vom 7. Oktober 2023 haben wir gemeinsam, aber die tiefsitzende Angst und der Verlust von Vertrauen ist nicht für alle gleich sicht- und fühlbar.
    Auch wenn Sie beklagen, dass Ihnen die Worte fehlten, haben die von Ihnen gewählten ihre Wirkung auf mich nicht verfehlt und ihre Absicht, die Angst sichtbar zu machen, erfüllt.
    Vor vier Tagen habe ich diesen Blog gelesen und er hat mich zuerst mehr ratlos als sprachlos gemacht, mir aber schliesslich geholfen, nachzuempfinden, was in Ihnen und anderen vorgeht. Dafür danke ich Ihnen. Ich verstehe das Gefühl der Lähmung und Ohnmacht, die Schutzlosigkeit, den Verlust von Vertrauen und die tiefsitzende Angst besser als vorher.
    Ich verstehe auch Ihren Satz „Die Welt wird kleiner. Menschen, denen nichts erklärt werden muss, sind rar.“ Ich verstehe, wie ermüdend es sein muss, immer wieder erklären zu müssen.
    Warum das für mich nicht nur als Bürger dieses Landes und als Bürger der Welt wichtig ist, sondern auch im Umgang mit Freunden, erlaube ich mir im Folgenden zu erklären.
    Neulich schrieb mir ein Freund aus USA, Ben heisst er, dass er in den letzten Wochen und Monaten angesichts vielfacher antisemitischer Äusserungen in seiner Community zunehmend unter depressiven Gedanken leidet. Vielleicht stellt sich ihm die Frage, bin ich noch Teil dieser Community, wie ich es viele Jahre war, kann ich meinen bisherigen Freunden noch vertrauen?
    Wir waren und sind in Kontakt wegen eines filmischen Erinnerungsprojektes, bei dem er mich um Mithilfe bat.
    Julia, die Grosstante von Ben, stand im Sommer 2005 an unserer Haustür, wo wir seit 1994 leben. Begleitet wurde sie von Bens Eltern und seinem Bruder. Sie wurde 1924 in diesem Haus geboren und ist ebenso wie die meisten anderen ihrer Familie 1938 gerade noch rechtzeitig aus Deutschland geflohen. Nach 67 Jahren hatte sie den Mut, wieder Deutschland und ihr Elternhaus zu besuchen. Seitdem stehen wir in freundschaftlichen Kontakt mit ihr bzw. mit ihrer Familie und haben noch zweimal Besuch von Teilen der Familie gehabt.
    Ich versuchte ihm zu antworten und zu erklären, dass nicht er gemeint sei, auch nicht er als jüdischer Amerikaner, sondern dass es um Kritik an Israels Politik in Gaza geht. Mag sein, dass das so stimmt oder nicht oder nur zum Teil. Entscheidend ist jedoch, was Ben in dem Zusammenhang fühlt, dass er sich betroffen fühlt. Nicht er hatte sich ja verändert, sondern teile seiner Community. Nicht er Und das verstehe ich jetzt besser. Angst und Traurigkeit sind nicht rational zu erklären und zu beseitigen. Beides trifft ihn, weil sie seine Familie schon einmal getroffen haben. Die Last von Generationen ist in diesem Augenblick von einer fernen historischen Erzählung zu einer realen Bedrohung und zu realem Schmerz geworden.
    Ich werde Ben noch einmal schreiben und diesen Blog schicken, weil er vielleicht ausdrückt, was auch er denkt und fühlt.
    Gerne nehme ich auch Ihren letzten Satz auf, den ich in abgewandelter Form immer wieder von Margot Friedländer gehört habe:
    „Selbst aber sein Menschsein in ihr (der Angst) verlieren, das darf nicht geschehen, nirgends.“
    Und das glaube ich Ihnen. Die Menschlichkeit und die Menschenrechte sind unteilbar. Jeder hat das Recht, sie einzufordern, zunächst jeder für sich. Und jeder wird das den anderen auch zugestehen.

    1. Vielen Dank für die Worte und das Nachdenken. An meinem Monitor im Büro habe ich zwei Post Its kleben. Darauf schrieb ich einmal mit, was ich in einem Podcast hörte. (Ich werde ihn noch mal suchen). Darauf heißt es in etwa:
      Gute Dinge passieren nie aus der Angst heraus. Nur aus der Zuversicht und Hoffnung können wir gute Dinge tun.

      Ich werde noch mal nachsehen, wie es genau heißt, aber so in etwa war es. Daran muss ich viel denken.

      1. Auch hier stimme ich Ihnen zu. Den zuversichtlichen Blick nach vorn als Ausweg haben Sie ja auch schon im letzten Absatz und im letzten Satz Ihres Blogs gewiesen.
        Angst ist nicht nur ein Gefühl, das man hat, sondern sehr oft ein Gefühl von Menschen, das erzeugt wird oder ein schon vorhandenes Gefühl, das benutzt wird um zu herrschen oder politische Ziele zu erreichen. Das beste Beispiel dafür ist der Terror der Hamas, der es einerseits den Menschen in Gaza nahezu unmöglich macht, für Demokratie und Verständigung aufzustehen und andererseits den Menschen in Israel ihr Gefühl der Sicherheit nehmen soll.
        Das Spiel mit der Angst beherrschen einige Akteure auf der anderen Seite leider nicht weniger.
        Ein anderes Beispiel ist die Ausnutzung der Angst für die massiven Einschränkung von Bürgerrechten durch den Patriot Act von Oktober 2001 in USA nach dem Terroranschlag von 9/11.
        Angst wird bewußt genutzt, uns blind und ohnmächtig zu machen für die wirklichen Ziele des jeweiligen Lebens bzw. uns davon abzulenken.
        „Nur aus Zuversicht und Hoffnung können wir gute Dinge tun“ ist genau die Antwort, die wir heute brauchen. Das war schon immer so und gilt auch für jedes einzelne Leben. Es geht dabei nicht mal „nur“ um Gutes, sondern manchmal sogar um die Existenz.
        Viktor Frankl, der jüdische Psychiater aus Wien, der selbst vier KZs überlebt hat und dort seine Eltern und seine Frau und seine gesamte bisherige Existenz verloren hat, schrieb 1946 einen Bericht über das Lagerleben aus der Sicht eines Psychologen unter dem Titel „… trotzdem JA zum Leben sagen“. Darin formulierte er die Notwendigkeit der Selbsttranszendenz als Voraussetzung des Überlebens. Er schildert das zwar am Beispiel einer Extremsituation, verallgemeinert es aber für jedes Leben. Selbsttranszendenz bedeutet, Ziele zu haben, die über die gegenwärtige Situation und das eigene Leben hinausweisen.
        Dieser Gedanke rüttelt mich auf, angesichts der miesen Situation in der ganzen Welt nicht zu resignieren und mich nicht völlig zurückzuziehen. Jede und jeder Einzelne, der das auch so sieht, macht mich zuversichtlicher.

        1. Ja, das ist eines der Dinge, die ich von den Überlebenden lernte: Man muss sich für das Leben entscheiden – und das findet man ja auch im hebräischen, gern getragenen Symbol חַי für Leben oder Lebe!. Nur die Zukunft ist etwas, das wir ändern können, so schwer es auch manchmal scheint. Aber letztlich hat die Menschheit schon so viel durch und auch das überwunden. So schweigsam ich mich manchmal fühle, so gebe ich die Zuversicht nicht auf.