Was wäre, wenn sich die jüdische Bevölkerung Deutschlands nicht mehr für ihre Belange einsetzen würde? Was wäre, wenn niemand mehr sagen würde, wie er oder sie die Sache sieht, die Dinge empfindet? Was wäre, wenn niemand mehr übersetzen würde, dass etwas antisemitisch war? Was wäre, wenn alle nur noch still wären, niemand mehr um den 27. Januar und 9. November den nichtjüdischen Gedenkveranstaltungen beiwohnen würde? Wenn Überlebende nicht mehr ihre Geschichte erzählen würden, wenn sie es nie getan hätten? Sich nie der Wiederholung ihrer Traumata ausgesetzt hätten und stets versicherten, Ihr seid nicht schuld, aber Ihr tragt Verantwortung, dass es nie wieder geschieht? Was wäre, wenn keine jüdische Organisation, keine Gemeinde mehr zu Demonstrationen gegen Judenhass aufrufen würde? Wenn es keine Aktionswochen gegen Antisemitismus mehr gäbe. Wenn junge Menschen nicht mehr zu anderen Menschen in Schulklassen gingen und sagen: Schaut her, ich bin Jüdin und ich bin nicht viel anders als Ihr? Wenn niemand mehr mit jüdischem Hintergrund zu Interviews bereitstünde? Was wäre, wenn es keine Synagogenführungen mehr gäbe, keine Gäste mehr zugelassen würden in G’ttesdiensten? Was wäre, wenn die jüdischen Studierendenverbände sich nur noch um innere Dinge kümmern würde, sich nicht mehr äußerten. Was wäre, wenn all die einzelnen Jüdinnen und Juden in ihren Freundeskreisen nichts mehr sagen, erklären würden? Was wäre, wenn sich niemand Jüdisches mehr für Juden und Jüdinnen einsetzen würde? Dann stünden wir ziemlich allein da. Aber würde es bemerkt werden? Ich zweifle.
Zu fern ist die jüdische Lebensrealität in Deutschland der Mehrheitsgesellschaft. Zu wenig wissen nichtjüdischen Menschen davon. Zu wenig können sie sich einfühlen. Zu wenig ist ihnen bewusst. Zu wenig setzen sie sich ein. Zu wenig. Zu wenig. Zu wenig.
Ist unsere einzige Chance wirklich, dass wir uns exponieren müssen? Seit Tagen denke ich darüber nach. Denke an die eigene Müdigkeit, das Resignieren und denke auch daran, wie ich so oft sage, da sind jetzt Jüngere, die haben mehr Energie. Nein, sie sollen genau diese Energie nicht dafür verschwenden müssen, wir sollten weiter sein. Ich bin Optimistin, aber Hoffnung, Hoffnung habe ich keine mehr. Es wird so weiter gehen, Generation für Generation. Wir werden uns für uns selbst einsetzen müssen, weil es sonst kaum jemand tut, kaum jemand fähig ist, zu übersetzen.
Eh Widerspruch kommt, natürlich gibt es die wenigen Ausnahmen unter 80 Millionen. Felix Klein sagte zum Amtsantritt und vermutlich noch immer, dass es wichtig sei, dass gerade Nichtjuden die Stimme erheben, dass es eine andere Wirkung hat, dass dann niemand sagen kann „wieder die Juden“ und die Augen verdrehen. Sehr aktuell möchte ich zwei Artikel bzw. Interviews empfehlen, wie ich persönlich mir vorstelle, wie es aussehen kann: Michael Blumes Faktencheck zum letzten Precht und Lanz Podcast und die dummen, von Vorurteilen triefenden Äußerungen Prechts und der Zustimmung Lanz‘ und das Interview von Miron Tenenberg mit Nikolas Lelle von der Amadeu Antonio Stifung.
Foto von Ryan McGuire from Pixabay
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