Rückkehr nach Herford: Das Marta

Einmal war ich in Herford zu Gast, das Marta hatte geschlossen. Ich musste abreisen, ohne sein Inneres gesehen zu haben. Während Corona war ein Besuch nicht möglich, ich entdeckte die Ausstellung „Entdeckungen“ von Benjamin Katz per Katalog. Eine realer Betrachtung.

Erinnerung und Ankunft

Das erste Mal Herford war Abend kurz nach Halle, meine ich mich zu entsinnen, die Tat war Thema mit seiner plötzlichen Polizeipräsenz vor der Synagoge und dem Gemeindehaus, in dem ich lesen durfte. Ein Abend, der mir dennoch dank des dortigen Gemeindevorsitzenden Prof. Matitjahu Kellig in guter, wenn nicht sogar warmer Erinnerung bleiben wird. Am Morgen danach verließ ich meine Unterkunft und machte mich auf den Weg zum Marta – nicht wissend, dass es geschlossen sein würde. Ich nahm Herford auf vielen Arten mit. Im Jahr 2021 hatte dort, der von mir seit dem verehrte Benjamin Katz seine Ausstellung „Entdeckungen“ – eine solch lange Reise im Zug, Corona und so? Das schloss sich aus, doch ich hatte das Privileg, den Katalog zu erhalten, meine Reise durch die Ausstellung in Seiten hinterließ ich hier. Doch irgendwann, so wusste ich, würde ich wiederkommen.

Am Wochenende war es so weit, spontan. Die Ausstellung „Augenblick im Niemandsland“ von Annette Frick interessierte mich genug, als dass ich mich auf die Reise begab. Abseits etwas liegt das Marta, den Weg dahin hatte ich in Erinnerung. Das Licht war perfekt, bewölkt, doch als ich ankam, etwas Sonne, das auf dem silbrigen Dach reflektierte. Die Hassi gezückt, mal sehen, ob die Bilder etwas werden. Weitere Menschen nutzten den Tag für einen Besuch, nicht zu viele, wie es in Berlin zu oft der Fall ist. Angenehme Stille, durchsetzt von Menschen.

Annette Frick: „Augenblick im Niemandsland“

Ich bin etwas, so muss ich sofort gestehen enttäuscht gewesen. Es war eine Reise, in eine Welt, die es nicht mehr gibt, eine Reise, wie sie derzeit zahlreich gezeigt wird, die Bilder meiner Stadt ohne glattgezogenem Putz und Cafés und Nippesgeschäften statt Läden für den Lebensbedarf. Die Fotos, teils deutlich unterbelichtet, erschienen eher wie Schnappschüsse, wie man sie eben so macht(e). Verschoben gerahmt erzeugten sie den Eindruck, durch eine dunkle Stadt zu wandern. Kein Bild, dessen Ort ich nicht erkannte. Unterhaltsam daher. Das Suchspiel, dass ich spiele, wenn ich Berlinbilder betrachte. Nur hätte eine Schachtel mit alten Fotos gereicht, sich auf diese Zeitreise zu begeben. Der Einführungstext legte Wert auf das Begehen „abseits der Trampelpfade“ durch die Stadt, in die Frick Mitte der 90er Jahre zog, in einer Zeit, in der das „Niemandsland“ schon lange keines mehr war. Die für sie nicht abgetrampelten Wege waren die normalen Wege der normalen Berliner. Mir kam ein Satz in den Kopf: Nur jemand, der nicht aus Berlin kam, kann denken, dass diese Wege „abseits der Trampelpfade“ waren. Sie waren es nicht. Doch sehen Menschen von Außen nicht bis heute etwas in Berlin, was es schon Mitte der 90er verloren hatte?

Abseits des Mainstreams?

Konkreter werden dann neben den Berlin-Schnappschüssen, wenn ich sie mal so nennen möchte, die Beobachtungen, Portraits in der queeren Szene der 90er Jahre. Dokumentationen, hervorgehoben als Besonderheit. Ich hadere damit. Es ist wieder eine Betrachtung aus dem Heute, in dem zum Glück die Aufmerksamkeit für einqueere Leben ein anderes ist, auch auf dessen wieder stärkere Bedrohung. Mag es für den Rest des Landes etwas Besonderes sein, diese „Szene“ (ich mag das Wort nicht) in Berlin zu sehen, aber war sie das in Berlin? Gerade in Berlin? Mich lässt es verwundert zurück. Es kommt darauf an, von wo her man etwas ansieht, aus meiner deutlichen Berliner Sicht ist es eher ein: Fotografieren des Alltags. Und ich merke, dass ich daher wohl die Texte der Ausstellung mit mir herumschleppe als etwas, das nicht passt.

Interessantes

Reizvoller wird es dann bei Themen, die nicht diesen Überbau haben, ihre Porträts mit Giraffenkopfmaske oder der Winter am Müggelsee. Diese Arbeiten scheinen weiter entfernt einer schnappschießenden Eigendokumentation zu sein, hier zeigt sich Künstlerisches.

Gedanke

Ich hadere mit der Ausstellung – womöglich weniger mit den eigentlichen Arbeiten Fricks. Es ist eher ein Gefühl, dass hier interpretiert wird, was nicht da ist, dass es nicht zusammenpasst, was geschrieben und gezeigt wurde doch ist hier eine Selbstbeschreibung der Künstlerin mit ihren Trampelpfaden aufgenommen worden, so dass ich nicht weiß, wohin ich das Unbehagen senden sollte. Unter Umständen wäre es passender gewesen, von einer Dokumentation der persönlichen Betrachtung Fricks zu sprechen, denn eine Generalansicht darüber zu stülpen. Ich bin unschlüssig.

Annette Frick: Irgendwo im Niemandsland
bis: 13. August 2023

SHIFT – KI und eine zukünftige Gemeinschaft

Doch im Marta gab es eine weitere Ausstellung, an der ich zunächst weniger interessiert war. Ich sollte mich täuschen. Ein Wechsel diese Ausstellung, in den bemerkenswerten Räumen voller Potential, vor allem hier genutzter Möglichkeiten.

Erwartet hatte ich wenig, etwas, von KI Generiertes, was ja derzeit viel ausprobiert und erfahren wird. Doch ich irrte. Nicht sonderlich an Videoinstallationen interessiert, hielten mich hier ausgerechnet zwei Arbeiten aus diesem Bereich gefangen. Aber auch andere empfand ich als bemerkenswert.

„SocialSim“ von Hito Steyerl

Die, die für mich das eigentliche Highlight war, verbarg sich hinter einem schmalen grauen Vorhang. Durch einen ebenso schmalen dunklen Gang gelangte man in einen Raum, der an drei Wänden ekstatisch tanzende Animationsfiguren zeigte. Das wäre vielleicht die richtige Reihenfolge gewesen, wenn es eine solche gab. Ich selbst ging zur anderen Tür hinein, ein ebensolcher Vorhang, ein ebensolcher Gang. Ich betrat einen dunklen Raum, links und rechts von einer Wand sah ich die Animationen im anderen Raum, doch dann wurde die dunkle Leinwand, vor der ich stand erhellt und ich war regelrecht gefangen in dieser Arbeit. Hinterfragt wurde zunächst der Kunstmarkt und seine vermutlich bevorstehende Veränderung, doch spätestens, wenn eine animierte Nofretete sagt, dass sie gefangen gehalten würde und sich nicht sicher fühle, da Menschen wie sie durchaus in Polizeigewahrsam sterben, geht es um etwas anderes. Dieses Andere wird durch Steyerl auf einer Reihe von Ebenen bearbeitet und hinterfragt. Eine Arbeit, die mich Tage nach meinem Besuch nicht loslässt und die Videoinstallation, die mich am längsten je vor Ort gefesselt hielt. Allein dafür hätte sich der Besuch des Marta gelohnt.

„in vivo – in vitro – in silico“ von kennedy+swan

Ist ein Film. Durch keine dunklen Gänge muss man gehen, auf klassischen Kinostühlen darf man Platz nehmen und erlebt die Zukunft in der „biologische und künstliche Intelligenz miteinander verbunden sind“. Dies gelingt durch teils zwar hässliche, aber zugleich niedliche Bots, die man sich einpflanzen lassen kann. Was zunächst schlicht wie ein technisch guter Animationsfilm wirkt, geht spätestens dann, wenn man die Bots in menschlichen Körpern auf ihren Bewegungen unter der Haut sieht, eben dorthin: unter die Haut. Wie weit geht unsere Selbstoptimierung? Wieviel geben wir preis?

„Amazonian Flesh – How to hang in trees during strike?“ von knowbotiq

Die große raumgreifende Installation von knowbotiq fesselte mich weniger durch die Animationen, die man per Bild und Ton an unterschiedlichen Stellen, der Installation aus Kabeln entdecken kann. Hier fing ich mich eher an der Titelfrage „How to hang in trees during Strike?“ Und die kunstvollen großen Arbeiten, die hier genau wie geschaffen in ihrer Freiheit im großen Raum angebracht waren.

Probably Chelsea“ von Heather Dewey-Hagborg

Ist die Arbeit, die wenig ihrer Energie auf dem Foto zur Ausstellung zur Geltung bringt. Mir war vor Ort nicht klar, worum es geht, zu fasziniert war ich von diesen schwebenden Gesichtern im Raum, dass ich sie wirken lassen wollte, ohne zu wissen, was dahinter steht. Schon so haben sie ihre Kraft entfaltet.
Dewey-Hagborg hat „aus einer genetischen Probe 30 verschiedene Entwürfe möglicher Portraits der US-amerikanischen Whistleblowerin Chelsea E. Manning“ erstellt. Eine Arbeit, die man jedem rassistisch eingestellten Menschen vor Augen führen sollte, würde es etwas bringen.

SHIFT KI und eine zukünftige Gemeinschaft
bis 15. Oktober 2023

Gedanken zum Haus

Am Ende war es diese Ausstellung, die mich begeistert aus dem Marta gehen ließ. Schade ist, dass das Café derzeit keine Betreiber:innen hat. Man kann es sich dennoch ansehen und wird explizit darauf hingewiesen. Überhaupt soll erwähnt sein, dass die Mitarbeiterin an der (kleinen) Kasse mit unserer Schlange an Wartenden ganz hervorragend und geduldig umging.
Die Schließfächer sind zudem ohne Kleingeld in ausreichender Größe nutzbar. Wie oft suchte ich schon nach dem benötigten Euro?
Das ausführliche Gespräch über den „Niedergang der Herforder Bürgerschaft“ einer Dame mit einer Mitarbeiterin (?) aus dem Shop hätte mir erspart bleiben dürfen. Diese Themen kann man sicher mit den Freunden und Bekannten an anderer Stelle diskutieren, als an einem Ort mit Publikumsverkehr. Schade war zudem, dass es keine älteren Kataloge des Hauses zu geben schien. Wer weiß, was ich da hätte entdecken dürfen.

Kurz, der Besuch hat sich auch mit anfänglicher Enttäuschung mehr als gelohnt, er hat mich glücklich gemacht – wenn man das trotz dieser Themen so sagen darf. Danke dafür.


Marta Herford, Museum für Kunst, Architektur, Design
Goebenstraße 2–10
32052 Herford
Fünf Minuten zu Fuß vom Bahnhof Herford

Di – So und an Feiertagen 11 bis 18 Uhr
Mi 11 bis 20 Uhr

Eintritt: 10 Euro/ Jahreskarte 25 Euro


Foto: Gunnar Klack, 2011, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons


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