„Die neue Polin meiner Mutter will einen Fernseher in ihrem Zimmer. Als ob es im Haus nicht genügend Fernseher gäbe. Eine Telefonflatrate nach Hause und wo sie vorher gearbeitet hat, will sie auch. Das hat sich die letzte nicht getraut.“ F. hat zu tun. Die Mutter stürzte kürzlich und sollte nicht allein bleiben. Sie brauchte eine Pflegekraft im Haus. Um die Ersparnisse nicht zu gefährden, wollte F. nicht den Pflegedienst aus dem Dorf. Die verlangen zuviel Geld.
F. findet schnell. Alles verlief reibungslos. Das Elternhaus ist groß. Eines der Zimmer wird mit Bett und Schrank ausgestattet. Was braucht jemand, der seine Familie und Freunde regelmäßig verlässt, um in Deutschland zu arbeiten? F. gefiel sich in der Rolle der Arbeitgeberin von Hauspersonal und gute Tochter, die sich stets kümmerte. Nie wird sie müde Letzteres zu betonen.
Der Fernseher wurde nicht zugelassen, noch weniger die Flatrate für das Telefon. Die Pflegekraft der Mutter hatte zuvor in einem anderen Land Europas gearbeitet, über die Jahre Freunde gefunden. Internet gab es im Ort nur in Neulandversion. Nicht schnell genug für irgendwas. F. ist stolz auf sich. In Regelmäßigkeit berichtet sie über die Probleme der (zu) laut lachenden fröhlichen „Polin ihrer Mutter“. Die Frage nach dem Namen und nach der Privatsphäre der Frau ohne Namen überhört F..
„Die Polin der Mutter“ gibt es in vielen Haushalten dieses Landes. Sie ist so normal geworden, dass wir sie nicht mehr hinterfragen. Sie hat einen Namen, sie hat eine Geschichte, Familie, Freunde. Menschen, die sie liebt, die sie vermisst und die sie ververlässt, um in Deutschland Geld zu verdienen. „Die Polin der Mutter“ ist 24h-Pflegekraft, Haushaltshilfe, Rettungsanker, Gesellschaft einsamer Menschen, Ersatztochter und vor allem Kostenersparnis in einem System, das sonst kollabieren würde. Sie verlässt ihre eigene Familie, um sich um die anderer zu kümmern, für geringen Lohn und ein Zimmer arbeitet sie. Sie hat Geduld, medizinische Kenntnisse, spricht mehrere Sprachen. Sie wendet sich ihr fremden Menschen zu. Etwas, das wir schon im eigenen Kreis immer weniger können. Wir, die wir weder Zeit, noch Kraft, noch Lust haben, uns selbst zu kümmern. Wir, die wir schimpfen über die Pflegequalität des Landes, aber nicht mehr zahlen wollen, um den Pflegerinnen und Pflegern ein besseres Auskommen und mehr Kollegen zur Entlastung zu verschaffen. Wir holen uns aus anderen Ländern Menschen, um das für uns für noch weniger Geld zu tun – und sollten doch das Geringste schaffen: diese Menschen achten. Ihre Leistung anerkennen. Eine Leistung, zu der wir kaum in diesem Maße fähig sind. Entpersonalisierungen, Überheblichkeiten sind ein Zeichen für das nicht nur in diesem Punkt kränkelnde System. Wir sehen immer weniger die Menschen, immer mehr uns selbst. Es stimmt etwas nicht. Alltäglicher Rassismus.
„Die Polin der Mutter“ fügte sich nicht. Die namenlose Frau kündigte. F. konnte es nicht verstehen.
photo credit: State Archives NSW Baby in an incubator, Lady Edeline Hospital for Babies, Sydney NSW via photopin (license)
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