Warum Kirche politisch sein muss

Die Kritik Julia Klöckners gegenüber den Kirchen, dass sie weniger politisch sein sollten, irritierte mich bereits beim ersten Mal. Nun auf dem Kirchentag wiederholte sie ihren Aufruf, den ich als nichts anderes als Angst vor Einmischung lese. Warum die Kirchen nicht politisch genug sind und ich hoffe, dass sie lauter werden, will ich versuchen zusammenzufassen.

Kirche in der DDR

Ich kann mich, auch nach 35 Jahren gemeinsames Deutschland nicht daran gewöhnen, wie still Kirche ist, wie unpolitisch. Aufgewachsen in einem Land, in dem Kirche keine derartige Bedeutung im Lebensalltag der Menschen hatte, wie es in der alten Bundesrepublik der Fall war – und auch noch heute in einer Selbstverständlichkeit ist, die mich irritiert, spielte Kirche in der DDR eine durchaus politische Rolle. Sie spielte sie in dem Maße, als dass sie natürlich nicht parteipolitisch war, aber in ihrer Stille und vor allem in ihren Freiräumen, bot sie das, was in der Diktatur kaum zu finden war: Lebensräume.

Die Anerkennung dieser politischen Arbeit, ohne politisch sein zu dürfen, ist vielleicht, wie so vieles noch viel zu wenig gewürdigt. Es war kein lautes Schreien, kein Polarisieren auf Talkshowbühnen – die es ja per se nicht gab in diesem Land. Es war Raum geben, offen sein in einem Land, in dem nicht für alle Offenheit galt. Es war die Hinwendung zum Menschen, zum Individuum in einem Land, in dem genau das nicht zählte.

Antifaschistische Kirchen

Die Kirche heute kenne ich in großen Teilen als hierarchische Struktur mit vorsichtigen Schritten. Als ich vor ein paar Jahren das Netzwerk „antifaschistischer Kirchen“ kennenlernen durfte, schöpfte ich Hoffnung. Ein kleiner Kreis nur, doch einer, der auf dem diesjährigen Kirchentag nicht nur Flyer verteilte, sondern auch für die Resolution des AfD-Verbots dort verantwortlich zeichnete.

Ich kann nicht verstehen, wie eine Person in diesem Land, in dem es die relativ kürzliche Geschichte der Kirche in der DDR gab, die den Boden bereitete für alles, was kommen, bzw. enden sollte, wie also eine Person in diesem Land mit der Geschichte einer bekennenden Kirche – aber eben auch der der „deutschen Christen“ sich erdreistet – und ein anderes Wort kann ich nicht nutzen – zu verlangen, dass Kirche nicht politisch sein solle, sondern sich brav und still um „ihren Kram“ kümmern darf. Ich verstehe auch nicht, warum der Aufschrei nicht viel größer ist.

Räume geben

Noch haben die Kirchen (in einigen Ländern) genug Möglichkeit, den Menschen Raum zu geben, vielleicht auch den Raum für Engagement, den sie in Parteien eben genau nicht finden oder nicht zu finden glauben: Raum auch zu reden, zu diskutieren, in einer Welt, in der nur noch polarisiert zu werden scheint. Ich hoffe, sie nutzen diese Möglichkeit, diese Chance, hier ihre Rolle (wieder)zu finden und aus der Bedeutungslosigkeit herauszutreten. Als Mensch, der mit politischer Kirche aufwuchs, verstehe ich nicht die Mutlosigkeit, die ich hier seit Jahren beobachte. Ich halte mich daran fest, dass es auch anders geht. Daran, dass ich das Glück hatte, es anders erleben zu dürfen und zu wissen, welche Kraft Kirchen auch für Menschen entwickeln können, die nicht an diesen Gott glauben, welchen Einfluss sie haben können – wenn sie nur wollen.

Ich hoffe sehr, dass die Äußerungen Julia Klöckners genau das bewirken werden, was sie nicht beabsichtigte: Dass Kirche sich sehr wohl einmischt in eine Politik, die Menschenrechte immer weiter hintanstellt, in eine Rückwärtsgewandtheit, die nur Angst machen kann, in wachsendem Rassismus, Hass und Antisemitismus. Dass sie ihre Stimme im Sinne der Menschenwürde erheben und nicht in der Angst, mehr Mitglieder zu verlieren, erstarrt. Ich weiß um die vielen meist jungen Pfarrer:innen, die Veränderung wollen, ich weiß um Bischöf:innen, deren Gedanken Anleitung sein sollen.

Werdet laut

Also werdet laut, nicht nur auf Kirchentagen und wehrt Euch vehement und deutlich gegen eine Einmischung der Politik! Denn nichts anderes wird hier versucht von den Klöckners und Söders. Lasst Euch nicht drohen, sondern zeigt Eure Zuversicht, von der so viel gesprochen wird. Zeigt, dass Ihr keine Angst habt, so wie sie Angst haben vor Euch.

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5 Antworten

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  1. Ich finde es auch zutiefst absurd, dass Frau Klöckner dann am Kirchentag zur Bibelarbeit eingeladen wurde. Ich würde mir wünschen, dass mit ähnlicher Verve von den Kirchen an Frau Klöckner zurückgegeben wird, dass sich Politik nicht in die Belange und Aufgaben der Kirchen so einmischen sollte.

  2. Solange die Kirchen mehr oder weniger direkt dazu aufgerufen haben, CDU zu wählen, war alles in Ordnung. Von Einmischung war keine Rede. Kaum hören wir von Seiten der Kirchen kritischer Stimmen z.B. zur Asylpolitik, wird der Ton rauer!

    Herzlichen Dank für Deinen Beitrag!

  3. Kirche war immer politisch. Allerdings meist im Sinne der herrschenden Klassen. Das ist nicht nur im Mittelalter so gewesen, das ist heute so in Rußland, das ist extrem zu erleben in den USA, in dem die kritischen Stimmen recht leise sind im Vergleich zu verschiedenen Fernsehprediger, die vermutlich die Bibel nur auszugsweise kennen, das alte Testament dabei klar bevorzugen.
    Spricht sie gegen die herrschende, weil gewollte Meinung derer, die nun einmal die Macht für sich beanspruchen und auch die öffentliche Meinung, dann wird sie gegeißelt – das sollte sie allerdings gewohnt sein.

  4. Avatar von G. Lutterjohann
    G. Lutterjohann

    Wie ich schon in meiner Antwort an anderer Stelle geschrieben habe, stimme ich Ihnen in Ihrer Empörung über Frau Klöckner zu und teile Ihre Aufforderung an Kirche, politisch zu sein und der politischen Diskussion Raum zu geben. Nur ist meine Hoffnung, um es positiv zu sagen, etwas fragiler.
    Rückblickend hat die Kirche in der DDR vielen Menschen Räume für die Entwicklung ihrer Gedanken und Träume gegeben. Mangel an Räumen zur gesellschaftlichen und politischen Diskussion gibt es eigentlich nicht mehr. Nur haben sie sich nicht so entwickelt, wie gehofft. Vor allem sind diese Räume oft verzerrt und verzerrend.
    In der alten BRD hat die Kirche noch wichtige Impulse gegeben und war manchmal weiter als die Gesamtheit der Gesellschaft. Ich denke z.B. an die Denkschrift der EKD von 1965 (Ostdenkschrift) oder die Haltung zur Friedensbewegung und zur Wiederbewaffnung. Heute ist die Gesellschaft meist weiter als die Kirchen und wir freuen uns schon, wenn die Kirchen sich dem anpassen und nicht nur hinterher hinken. Die Erwartung an die Kirchen ist also eher geringer geworden, ihre Rolle im täglichen Leben auch.
    Andererseits gibt es agile rückwärtsgewandte Strömungen in den Kirchen, die versuchen, Einfluss zu gewinnen und sich mit rechten Medien verbinden. Eine Kostprobe war die leider erfolgreiche Kampagne gegen Frau Brosius-Gersdorf. Und hier sehe ich künftige Parallelen zu USA und anderen Ländern.
    Und nun zu Frau Klöckner. Sie ist bisher weniger durch Kompetenz in Fachfragen als durch Vernetzung als Lobbyistin aufgefallen. Sie setzt das fort, indem sie in der Firma von Frank Gottschalk beim Sommerempfang der CDU in Koblenz auftritt. Gottschalk ist der Finanzier von Nius, dem Online-Portal von Julian Reichelt.
    Frech ist Frau Klöckner nicht nur, weil sie Kirchen Vorschriften machen will, sondern auch weil sie sich zunehmend wie eine Bundespräsidentin oder Mutter der Nation zu präsentiern versucht. Und natürlich sieht sie, wie auch Söder, die politische Aufgaben der Kirchen und zwar im vorpolitischen Raum z.B. in der Wiederbelebung alter Rollenmodelle in der Familie.
    Es ist also keine Frage, dass Kirchen politisch sind und sein müssen. Es ist nur die Frage wie und in welche Richtung. Da haben die Kirchenmitglieder in der Tat eine hoffnungsbeladene Aufgabe.

  5. Hmm, im Grunde sollten Kirchen Menschen eher vereinen und nicht in die Politik gehen, obwohl diese auch gezwungen
    sind, hinsichtlich der Ethik Stellung zu beziehen.