Tefillin – weiblich

Seit ich die Videos von All Genders Wrap entdeckte, lässt mich ein Gedanke nicht mehr los: Tefillin – weiblich. Natürlich kann man jetzt fragen, warum sollen sie anders sein? Das fragte auch ich mich. Und fand reichlich wenig Antworten und vielleicht noch weniger Fragen. Dennoch, es ließ mich nicht los.

Tefillin sind eine lebenslange und teure Anschaffung. Deshalb sei darüber nachgedacht, ob es wirklich das Richtige ist, ob man(n) bzw. frau sie wirklich jeden Morgen anlegen will und wird. In den USA gibt es dazu Projekte, die Tefillin verleihen, auf Zeit. So dass man es selbst für sich herausfinden kann… Es will wohlüberlegt sein. Es ist nichts, was man mal tun sollte. Es ist etwas für das man sich entscheidet. Nichts, dass man mal einen Tag macht und dann wieder Wochen und Monate vergisst.
Ein Argument mag vielleicht auch sein, dass man inzwischen ein reduziertes Herzinfarktrisiko von regelmäßigen Nutzern entdeckt hat.* Das liegt sicherlich nicht an den Kästchen selbst und irgendwelche magischen Eigenschaften. Es liegt wohl eher an der Zeit der Meditation, der Ruhe, des Fokussierens weg von den alltäglichen Problemen.

Nun kann eine jede machen, was sie will – und tut es auch in ihren eigenen vier Wänden. Doch das öffentliche Anlegen der Tefillin durch Frauen ist noch immer ein Thema, das, nun ja, an das sich offensichtlich noch mehr gewöhnt werden muss, als das Tragen eines Tallits. Doch gehört es auch zum Spektrum des Judentums.

Erst vor ein paar Tagen sorgten die Women of the Wall wieder für Schlagzeilen, als sie öffentlich nicht nur an der Klagemauer beteten, sondern schlicht einen Tefillin-Tisch eröffneten. Diese Tische, bzw. Menschen, die Männer fragen, ob sie Tefillin angelegen und ihnen dann dabei helfen, sind in Jerusalem und in den USA häufig anzutreffen. Die Frauen mussten nun Monate auf die Genehmigung durch die Stadt Jerusalem warten, es ebenso zu tun und bekamen einen nicht so ganz öffentlichkeitswirksamen Platz zugewiesen. Zum Vergleich, Chabad hat eine Ganzjahresgenehmigung, die WotW durften nach anwaltlicher Intervention für zwei Stunden an zugewiesenem Ort das Angebot machen. Die Reaktionen der Passierenden waren gemischt.

Was ich auf meiner Suche noch fand: künstlerische Interpretationen. Nicht nur das obrige Foto der Studentinnen von Frederic Brenner. Sondern z.B. die Arbeit von Ayana Friedman zum Thema:

Oder auch Charlie Ehrenfried an der Rhode Island School of Design:

Nicht fehlen darf natürlich die inzwischen wohl berühmte Tefillinbarbie von Jen Taylor Friedman.

Ernster zu nehmen (für mich persönlich) sind die Arbeiten dreier Studierender des Shenkar College of Engineering and Design in Ramat Gan, die in einem Projekt, in dem etwas altes Handgemachtes neu gedacht in die Gegenwart gebracht werden sollte. Tut Sagi sagt stellvertretend für die drei zum Projekt:

“The decision to appeal specifically to women was a feminist statement and also a concrete statement that there are women in the world who wear tefillin – and this project is for them,”

Vielleicht liegt es daran, dass auch ich Tefillinanlegen eher mit der Orthodoxie verbinde, vielleicht liegt es auch daran, dass wir uns zu wenig Zeit nehmen für die wichtigen Dinge. Dennoch, es bleibt ein Gefühl. Das Gefühl ist da und es treibt mich weiter herum. Will ich das? Und gleichzeitig haben diese beiden Kästchen auf meiner Suche in den letzten Monaten eine weitere Bedeutung bekommen: es ist noch ein weiter Weg, bis es normal geworden ist, dass Frauen das tun, was Männer auch tun und ja auch umgekehrt. Noch immer irritiert es Menschen, wenn ich von Männern spreche, die die Schabbatkerzen zünden und ich verstehe nicht, warum. Wir haben zu tun und wir können diesen oder andere Wege innerhalb der jüdisch observanten Welt gehen. Wie wir und ob wir einander dahingegen bewerten, ist eine weitere Frage.

Eines ist aber auch zu erkennen, und stimmt mich etwas optimistisch. Schaue ich mir an, wie einigermaßen selbstverständlich es in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum geworden ist, Tallitot nicht nur in anderen Farben, sondern dezidiert für Frauen anzubieten, tut sich vielleicht doch etwas mehr, als wir denken. Wir werden also weiter sehen und weiter beobachten und ich…ich überlege weiter, ob es etwas ist, was ich machen möchte, was ich mir, auferlegen will. Die Reise und die Suche nach mehr, hat mir viel zum Nachdenken gegeben, aber auch viel Freude und Augenzwinkern. Und deshalb noch zwei Bilder vom Weg durch die Netzwelt:

 


*Quelle wird nachgeliefert, wenn ich sie wieder finde.


Foto: Faculty, Students, Rabbis and Cantors, Jewish Theological Seminary of America, New York, Frederic Brenner, New York City, USA, 1994

10 Antworten

  1. Ich habe eben einen kurzen Moment überlegen müssen, warum mich diese Bilder so wenig überraschen…
    Und dann fiel es mir wieder ein: schon mal woanders in anders gesehen!

    Es ist tatsächlich so, dass ich mir vor einiger Zeit die fotografischen Werke von Leonard Nimoy (ja, Spock arbeitete auch hinter der Kamera) zu Gemüte geführt habe. Und im Rahmen seiner Arbeit an dem Bilderzyklus „Shekhina“ tauchen Fotos wie dieses hier auf
    http://www.rmichelson.com/artists/leonard-nimoy/shekhina/89-21/
    Die anderen Bilder erfüllen jetzt nicht unbedingt die Save-for-work-Kriterien, daher muss dieses langen – aber ich halte es für recht repräsentativ.
    Hier sind Tefillin offensiv-fordernd und selbstverständlich vereinnahmt dargestellt. Und mit den kraftvollen Kontrasten kommt das ganze noch bedeutungsvoller daher.

    Das nur als kleine Ergänzung zu dem Thema.

    Herzliche und liebe Grüße!

    1. Das Bild ist mir auch über den Weg gelaufen und ich überlegte es, als Beitragsbild zu nehmen. Allerdings passte pragmatisch auch die Form nicht. Aber danke sehr für die Anmerkung.

  2. Das ist ja auch witzig! — Man erstöbert etwas, was man nicht kennt; und das Selbe findet jemand anderes, nachdem er nach sowas-in-der-Art gesucht hat. Die Erde ist kein Dorf… sie ist ein Server :)
    LG

  3. Ich finde, der wichtigste Punkt ist, ob ich eine Mitzvah, die ich halachisch nicht habe, auf mich nehmen will, während ich andere, gebotene, nicht einhalte. Die Frage nach dem Motiv ist der Punkt. Warum wird diese Mitzvah so betont gegenüber anderen Mitzvot? Weil man sie sehen kann? Es ist übrigens auch in der Orthodoxie nicht verboten, dass eine Frau Tallis und Tefillin legt. Es hat einige Beispiele solcher Frauen in der Geschichte gegeben. Dennoch frage ich mich, warum gerade Menschen, die andere, zentrale Mitzvot nicht einhalten (Kaschrut, tägliche Tefila, regelmäßigen und aufbauende Lernen und vieles mehr), ausgerechnet diese so wichtig finden.

    1. Ja, es ist nicht verboten. Dennoch, die Reaktionen, wenn es eine Frau in der Öffentlichkeit/Synagoge täte? Und wer sagt, dass Menschen, die nicht orthodox sind, die Mizwot nicht einhalten? Nur, weil es womöglich anders aussieht als in der Orthodoxie, weil Dinge hinterfragt oder gar anders ausgelegt werden? Liberales Judentum heißt nicht Judentum light, wie so gern behauptet. Jeder findet seine Wege und sollte auch gelassen werden wie er/sie ist. Hochmut oder ein „Du hältst ja nicht alles ein, Du bist nicht richtig“, wie oft gesagt wird, hilft sicherlich nicht bei der Hinwendung zum Glauben. Es treibt ziemlich erfolgreich weg. Wenn also jemand den Wunsch hat, manche Dinge einzuhalten, und andere vielleicht doch nicht, sollte man ihn nicht verurteilen, sondern unterstützen, eventuelle Fragen beantworten. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich viele Menschen, nicht nur im Judentum abwenden von ihren Religionen und lieber gar nichts mehr einhalten als wenigstens die ersten Schritte zu tun.

      1. Mir geht es hier nicht um Liberalenbashing (dennoch muss man sagen dass auch die Synagogen wo vieles erlaubt ist, was in der Orthodoxie nicht jeden Schabbes brechend voll sind oder sie jährlich enormen Mitgliederzuwachs haben. ). Ich weiss aber auch sehr genau, dass auch in der Orthodoxie nicht alles gut ist, was da glänzt und es erhebliche Probleme gibt. Wer genau hinsieht, sieht, dass beide in einer enormen Krise stecken, weil das Judentum insgesamt in einer Krise steckt. Das bedeutet, daß die Themen eigentlich ganz andere sind als Tallis für Frauen und dergleichen. Dieses Thema ist eigentlich eine Verschleierung der eigentlichen Themen und führt immer mit viel Emotion in die falsche Richtung. Da kann man gut „Dampf ablassen“, aber mehr nicht.

        1. Ich bestreite in keinem Punkt, was Sie ergänzten. Dennoch denke ich nicht, das „Das Judentum“ in einer Krise steckt. Ich beobachte es lediglich in Deutschland, wo ich nun mal lebe und die mich interessierenden Punkte sind die genannten. Die Frage nach Tallit und Tefillin mag für Sie eine Verschleierung sein, für andere Menschen aber der ausschlaggebende Punkt, ob und wie sie überhaupt ihre Religion leben. Natürlich gibt es viele Aspekte. Ich erhob allerdings auch keinerlei Anspruch darauf, dass das DIE eine Frage sei. Dies aus einem einzigen Artikel zu schlussfolgern ist vielleicht etwas voreilig?.

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