Befragte man die Bewohner dieses Landes (nicht nur dieses) nach ihrer Einstellung zum Widerstand gegen Rassismus und Hass und wie sie sich einschätzen würden, so war man sich in der Mehrheit sicher, widerstanden zu haben in Zeiten, die lange vergangen schienen. Die Zahl der so Denkenden schien synchron zu gehen mit der Zahl der Widerstandskämpfer in den Familien. Scheinbar gab es jene mindestens ein mal pro Kleinfamilie. Genau betrachtet, war es ein Land des Widerstandes. Man mag mir meinen Zynismus verzeihen. Ist die erste Aussage vielleicht noch der vorherigen Lektüre bestimmter Erinnerungen geschuldet, auch dem oft jugendlichen Unverständnis für die Ereignisse – wann geht das eigentlich verloren? – so ist das Zweite, und daran besteht kein Zweifel: Unsinn.
Widerstand heißt nicht, dass man Anschläge verüben musste, es mussten keine großen Dinge, auch ungesehen oder gar mit Medaillen im Nachhinein versehen sein. Doch Widerstand findet nicht nur in Gedanken statt. Widerstand ist Tat – egal wie groß oder klein sie erscheint.
War ich als Teenager anders? Sicher nicht. Auch mich beeindruckten die Geschwister Scholl, die mit ihrem Leben bezahlten. Mich beeindruckten die Geschichten über den Kreisauer Kreis. Widerstand war möglich. Eine Erkenntnis.
Betrachte ich heute mit Skepsis ähnliche Aussagen, halte ich mich zurück, sie zu deutlich zum Ausdruck zu bringen. Ich hoffe noch immer, dass aus jenem Engagement in Gedanken, Einsatz im Realen wird. Und doch. Doch sehe ich täglich mehr die Realitäten. Realitäten, die mich schon jetzt an den Rand der Resignation bringen. Ich frage, was gibt es zu befürchten, zu widersprechen? Warum höre ich immer mehr, dass man Angst habe, etwas zu sagen. Angst wovor? Wir sind an einem Punkt, an dem es als mutig erachtet wird, einen Tweet zu teilen. Lassen wir es uns auf der Zunge zergehen: ein Tweet. In einem sozialen Netzwerk, in dem man die Wahl hat, anonym oder erkenntlich zu sein, hat man Angst, einen Tweet zu teilen – dass man aber diese Angst hat, darüber kann man schreiben und es wird einem Verständnis entgegengebracht. Dinge, die mir Angst machen. Wir reden Gefahren herbei, die nicht existieren. Man spricht von Mut, wenn sich ein Mensch öffentlich für Menschenrechte einsetzt. Mut. Es ist scheinbar ganz und gar normal und unhinterfragt geworden, dass man lieber den Mund hält, statt zu widersprechen, und sei es nur im kleinen Kreis. Ich werde dann und wann gefragt, ob ich Angst habe. Ja, deshalb habe ich Angst. Nicht, weil ich bedroht werde, sondern weil ich weiß, dass nicht geholfen werden wird. Dass man sich wieder auf ein „schön still sein“ zurückziehen wird, ein „wenn man sich nichts zuschulden kommen lässt…“ Was muss noch geschehen, dass wir begreifen, wie fragil unsere Demokratie ist, wie ungeschützt unsere Minderheiten? Was muss geschehen, dass Menschen nicht glauben, dass ihre Stimme unwichtig sei? Was muss geschehen? Als in Chemnitz die Horden durch die Straßen marodierten, haben wir gesehen, wohin diese „Angst“ führt. Nein, es wird nicht besser, wenn wir wegsehen. Dinge, wie Chemnitz sind möglich. Diese Dinge sind möglich, weil in irgendwelchen Köpfen noch immer der Glaube herrscht: „wenn ich still bin passiert mir nichts“ und „das (vermeintlich) Fremde bedeutet Chaos. Ein Chaos, das dann durch die Stadt tobte. Ein Chaos, dass den Ruf einer Stadt und seiner Menschen auf immer schädigen wird. Doch irgendwo ist schon wieder der Ruf laut: „Typisch“. Wann werden wir begreifen, dass wir nur zusammen das Ruder rumreißen können? Das wir, die Mehrheit, unsere Attitüden sein lassen sollten und zusammen stehen müssen gegen den Hass, der immer mehr um sich greift und dass wir den Menschen helfen müssen, die sich täglich dem entgegenstellen, wirklich entgegenstellen. Es sind keine Zeiten, um hinten im Garten Blümchen zu züchten, wenn vorne der Mob tobt. Es sind die Zeiten, die es sind. Leider. Ich wünschte, es wäre anders.
Fühle ich Sicherheit in meinem Land? Nein. Ich fühle mich nicht unsicher, weil ich Jüdin bin, sondern, weil ich das Abgleiten meiner sicher geglaubten Welt in eine Welt der Unsicherheit, des Hasses, des Lauterwerdens des braunen Pöbels beobachte. Das hat nichts mir den Jüdischsein zu tun, es hat damit zu tun, dass ich Mensch bin.
Ich kann niemandem mehr glauben, der versichert, er würde widerstehen, denn ich sehe, wie schnell die Menschen Angst haben, Angst vor allem und sich in ihr kleines Selbst zurück ziehen, wir sie still sind, wo sie laut sein sollten, wie sie weg sehen, wo sie hinsehen sollten. Und ich weiß, wir allein können es nicht schaffen, es geht einfach nicht, wir sind zu wenige, zu ungesehen und wir können es nicht allein schaffen, selbst wenn die jüdische Menschen sich alle engagierten, was man einfach nicht erwarten kann und darf. Man darf aber sehr wohl erwarten, dass sich die Anderen der 80 Millionen engagierten.
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