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Der Weg nach Gardelegen

Der Weg nach Gardelegen
Man kommt nicht so einfach nach Gardelegen. Kein Fernradweg kreuzt die Stadt und irgendwie fühlt sich alles so still an, wenn man hier ist, so als wäre das Land, die Welt fast zu Ende. Die Häuser sind rausgeputzt, die Straßen leer. Vor 26 Jahren war hier das Ende der Welt. Heute wird durch  angehängte Schilder an den Straßenwegweiser auf „Wolfsburg“ verwiesen, ganz so, als wolle man darauf hinweisen, dass es tatsächlich noch weiter gänge. 

Gardelegen heißt wohl für die meisten, so ihnen der Name überhaupt etwas sagt: NVA. Die Stadt rühmt sich einer 300jähringen Militärgeschichte. Warum also sollte da ein Militärfriedhof nicht ins Bild passen? Und warum ist der Name Gardelegen außerhalb Deutschlands gleichbedeutend mit dem Orten von Vernichtungslagern, Chatyn und Sant’Anna di Stazzema? Warum steht der Name einer kleinen mittelalterlichen Stadt für eines der Schlüsselverbrechen des Nationalsozialismus? 

DDR Gedenken

Man muss suchen, die Antwort zu finden. In der Stadt finden sich Wegweiser zur Gedenkstätte Isenschnibbe. Man muss wissen, dass man dort hin will. Fast denke ich, man versucht, den eigenen Stadtnamen heraus zu halten, aus dem, was dort geschah. Irgendwo außerhalb dann, hinter einem Gewerbegebiet an der Bundesstraße ein Wegweiser, Wanderweg mit Abstecher. Der Abstecher, gesäumt von jungen Bäumen führt zu einer Mauer, die in der Landschaft steht. Ein Tor, gesäumt von Bäumen ist hier. Man fährt vorbei, lässt das Auto stehen und sieht, dass das hier, was so einsam in der Landschaft ist, etwas anderes als einfach nur eine Mauer ist. Es ist ein Gedenkkomplex, der mich auf zweierlei Arten bewegt. Zum einen scheint hier auf den ersten Blick seit 26 Jahren nichts geschehen zu sein. Die Anlage ist sehr gut gepflegt. Man sieht Vorrichtungen, in denen schon lang keine Feuer mehr brennen. Ein paar Tafeln sollen lesepultartig die Geschichte erzählen, die winzige Nummerierung scheint auf eine Wegführung hinzuweisen. Es ist zu viel Text, zu viel Zeitungsbilder, zu viel Deutsch, kein Wort einer anderen Sprache findet man hier, dabei waren nur wenige der Opfer Deutsche. Zum Anderen fühle ich mich zurückversetzt. Sehe die einst ewig gemeinten Feuer des Mahnens brennen. Der Name verheißt es, das Bild, dass sich dem Besucher bietet ist reinstes DDR-Gedenken. 

Der Weg nach Gardelegen
Mauer auf der Gedenkstätte Gardelegen
Foto: Juna Grossmann

Fast möchte man die Blauhemden zum Appell stehend sehen, die Fahnen im Wind….nur die Fahnenmasten gibt es nicht mehr. Man sieht noch ihre Halterungen hinter einer Reihe von Steinen mit Ländernamen. Ein Name fehlt.
Das Massaker
Die Rabatten wohl gepflegt. Zum Teil fehlen die alles überwuchernden Thujas. Sie wurden ersetzt durch mehrere Exemplare der Rosen von Ravensbrück, wie ein kleines französisches Schild verheißt. Es ist angebracht an diesen Pulten, die man schon am Eingang fand und auf denen nun Bilder der Opfer dieses Ortes prangen. Ich frage mich, ob es sein muss. Ob man Nahaufnahmen zeigen muss, um das zu verstehen, was einst hier geschah. Kann man es überhaupt verstehen? Was geschah hier? Warum mussten am 13. April 1945, Stunden vor der Befreiung Menschen ihr Leben lassen, die hier an diesem Ort von verschiedenen Todesmärschen aufeinander trafen. Deren Bewacher sich in der Falle fühlten und anstatt irgendeine menschliche Regung zu spüren, noch in den letzten Stunden des Krieges all jene töteten, die sie hier her führten. Sie in die Scheune sperrten, die hier auf dem Feld stand und sie letztlich verbrannten. Nur einige wenige Überlebende gab es, nur einige wenige der Opfer konnten je identifiziert werden. 
Der Friedhof
Es sind keine Militärs, die auf dem Friedhof hier liegen. Es sind die Opfer eines Massakers. Das Massaker von Gardelegen war einzigartig in Deutschland. Ein Zeichen für die Unsinnigkeit jeglichen Krieges, für Menschen ohne Gewissen, ohne Menschlichkeit, für deren Unberechenbarkeit selbst in der Aussichtlosigkeit der näher rückenden Front. Was hätte sie hindern sollen, all die Häftlinge der Todesmärsche, die hier zusammen kamen einfach hier zu lassen, sie auf ihre Befreier warten zu lassen und selbst zu fliehen? Warum dieser Mord? Warum all die Menschen? Es sind keine hohen NS-Funktionäre gewesen, die hier töteten. Es waren ganz normale Menschen, die selbst jetzt noch versuchten, die Spuren zu beseitigen. Die Opfer zu verscharren suchten. Und dann durch die Amerikaner verpflichtet wurden, jedem Opfer ein eigenes Grab zu geben. Die Bürger der Stadt wurden verpflichtet, diesen Friedhof auf ewig zu pflegen. Einzelnen Bürgern wurden einzelne Gräber zugeteilt. Und in der Tat wurde der Friedhof gepflegt, und geschändet. Erst vor zwei Jahren wurden Grabkreuze herausgerissen und zu einem Hakenkreuz gelegt. 
Die wenigen Namen der identifizierten Opfer findet man in einem metallenen Buch, zwei Gräber haben zu ihren Nummern auch Namen. Einige Davidsterne statt Kreuze zeugen davon, dass hier alle gleich sind. Französische und belgische Opfer wurden inzwischen in die Heimat überführt, auf einigen Gräbern liegen Blumen, brennen Kerzen. Es ist kein anonymer Ort, trotz allem. Er strahlt Würde aus. Es scheinen getrennte Orte zu sein, der Friedhof und die Gedenkstätte und doch gehören sie zusammen.
Was ist zu tun?
Und da ist nun dieser Ort der Tat. Der Teil der Scheunenwand, den man erhielt. Dahinter wieder ein ewiges Feuer ohne Flamme. Eine seltsame flache Mauer. Rätselraten. An der Wand liest man den FDJ-Leiter reden. Es ist ein seltsames Gefühl hier. Davor der übliche Widerstandskämpfer mit geballter Faust. Eine Mischung aus: immerhin gab es ein Gedenken an die Tat, immerhin wurde diese Gedenkstätte in den 90er Jahren nicht zufällig vergessen und verfiel. Hier ist alles gepflegt und doch, doch muss hier etwas geschehen. Dringend.
Bei meinem Besuch fehlt mir zunächst eines: eine Verortung. Ich verstehe nicht, wie der Platz in Verbindung zur Mauer steht. Durch längere Bildervergleiche erkenne ich, dass die flache Mauer die Umgrenzung der Scheune anzeigt. Die Texte aus alten und glücklicherweise versunkenen Tagen stehen unkommentiert hier, so wie auch der Widerstandskämpfer. Man muss sich so sehr viel zusammenreimen. Muss andernorts nachlesen, um zu verstehen, was hier ist. Vielleicht auch, welche enorme Bedeutung dieser kleine Ort zwischen Maisfeldern hat. Was dieses Massaker alles bedeutet. Wie er auch Synonym für die Todesmärsche ist. 

Der Weg nach Gardelegen
Restwand der Isenschnibber Feldscheune Gardelegen, Foto: Juna Grossmann
Dieser Ort hat für mich auf seltsame Art eine Bedeutung, die ihm bisher nicht zugemessen wurde. Es ist ein stiller Ort inmitten von Feldern. Niemand verirrt sich hier hier und fast könnte man meinen, die Geschichte würde vergessen. Die Gedenkstätte ging nun wohl vor einiger Zeit von der Stadt an die Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt über. Es ist eine Chance. Man kann hier an diesem Ort nicht nur der Tat erinnern. Man kann auch hier, ungleich anderen Gedenkstätten auf dem ehemaligen Gebiet der DDR, die entweder bereits in den 90ern umgestaltet wurden oder einfach verschwanden auch das Gedenken in der DDR zeigen. Gedenken, dass es immerhin gab. Auch, wenn alle Opfer jedweder Art in der DDR-Doktrin zu antifaschistischen Widerstandskämpfern wurden. Auch dieses Thema könnte man hier erläutern. 

Der Weg nach Gardelegen
Unkommentierte DDR-Doktrin auf einer Gedenktafel, Gardelegen.
Foto: Juna Grossmann
Ich hoffe, dass die Stiftung die Chance nicht nur in eine Richtung ergreift. Ich hoffe, dass dieser Ort nicht in Vergessenheit gerät. Wir hören von so vielen Massakern in dieser Zeit, fast zu viele, um sie noch wahrzunehmen. Die Erinnerung aber an dieses eine hier in Gardelegen,  schafft es vielleicht, uns innehalten zu lassen und unsere Augen darauf zu richten, was noch immer heute auf dieser Welt geschieht – und vielleicht auch unseren kleinen Teil versuchen beizutragen, dass es verhindert werden kann. 
Der Weg nach Gardelegen
Der schon übliche Widerstandskämpfer mit geballter Faust.
Foto: Juna Grossmann
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