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Aus anderer Feder: Nice to meet Jew! – Die virtuelle Debatte um das Projekt „Rent a Jew“

Aus anderer Feder: Nice to meet Jew! – Die virtuelle Debatte um das Projekt „Rent a Jew“
Ein paar Mal schon hatte ich angesetzt über Rent a Jew, wo ich selbst aus Überzeugung eine der Referentinnen bin, zu schreiben. Der Entwurf liegt hier noch immer im Ordner. Bis dann plötzlich alles ganz schnell ging, das Projekt quasi über Nacht weltweit bekannt wurde und nicht nur positive Resonanz erhält. Daher sei hier an dieser Stelle Platz eingeräumt für Wiebke Rasumny, eine der Mitbegründerinnen des Projekts des Jüdischen Medienforums des Europäischen Janusz Korczak Akademie e.V., um noch ein paar Dinge zu sagen:

Seit einigen Wochen wird im Internet ein Projekt diskutiert, das vor allem durch seinen provokanten Titel für Aufruhr in den sozialen Medien sorgt: Rent a Jew, eine ehrenamtliche Initiative, bei der junge jüdische Menschen sich bereit erklären, auf Anfrage Schulklassen zu besuchen und den Fragen der Schülerinnen und Schüler Rede und Antwort zu stehen. Das Konzept an sich ist nicht neu: Oft fragen Lehrerinnen und Lehrer in jüdischen Gemeinden oder Museen an, um das Judentum, das in verschiedenen Klassenstufen auf dem Lehrplan steht, mit Leben zu füllen und anschaulich zu präsentieren. Doch synagogale Architektur und eine Führung durch die Judaica-Ausstellung können die Köpfe und die Herzen von Kindern und Jugendlichen auch nur bedingt erreichen.

„Deinen ersten vergisst du nie!“

Am wertvollsten und nachhaltigsten, wenn es darum gehen soll, Stereotype aufzubrechen und einen schemenhaften Umriss durch einen lebendigen Eindruck zu ersetzen, ist sicherlich die Erfahrung einer persönlichen Begegnung. Der auf einem Einpersonen-Theaterstück von Charles Lewinsky basierende Film „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ hat die ambivalenten Gefühle, die auf jüdischer Seite entstehen können, wenn man aufgefordert wird, über das eigene Jüdischsein zu sprechen, bereits im Jahr 2005 thematisiert. Dass nicht jeder jüdische Mann, nicht jede jüdische Frau sich in ein solches Gespräch begeben möchte, ist völlig legitim. Dennoch gibt es gar nicht so wenige junge Leute, die dazu bereit sind – „Rent a Jew“ ist eigentlich nichts weiter als eine virtuelle, deutschlandweit tätige Anlaufstelle, um Kontakte zu diesen engagierten Menschen zu vermitteln. Denn jüdische Gemeinden – im Film „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ wird die Anfrage von einer Schule an die örtliche jüdische Gemeinde gestellt und an das Gemeindemitglied Emanuel Goldfarb (gespielt von Ben Becker) weitergeleitet – können dies eigentlich nicht leisten.

Juden als „Mietobjekt“?

So weit, so bekannt. Was an diesem Projekt erregt nun also die Gemüter so stark? Eigentlich erfährt das Projekt, das kürzlich mit dem Preis „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ ausgezeichnet wurde, der jährlich vom Bündnis für Demokratie und Toleranz gegen Extremismus und Gewalt verliehen wird, überwiegend positive Resonanz. Doch auch wer das Konzept lobt, das sich hinter dem Projekt verbirgt, schickt in aller Regel vorweg, dass es sich, bei genauerem Hinsehen, um ein vielversprechendes Projekt trotz des provokanten, zweifelhaften, unglücklichen oder schlicht „doofen“ Titels handele. Das an eine männliche Zielgruppe gerichte Lifestyle-Magazin „Esquire“ fasst das prägnant in Worte: „It’s not as bad as it sounds!“ (Danke.) Vor allem auf reddit und facebook, sowie in den Kommentarspalten der etablierten Medienseiten, die über das Projekt berichten, finden sich jedoch auch zahlreiche Wortmeldungen, die über das Projekt einfach nur den Kopf schütteln: #nottheonion – mokiert man sich auf reddit. Ein Purim-Spiel für Nichtjuden, also eine Zurschaustellung jüdischer Klischees zur Ergötzung der nichtjüdischen deutschen Mehrheit, befürchtet ein jüdischer Universitätsprofessor für jüdische Sprachen und Literaturen auf seiner facebook-Seite. „Was für eine kranke Idee, Menschen zu vermieten!“ echauffieren sich sowohl von jüdischer als auch von nichtjüdischer Seite User der sozialen Medien. Man schwankt zwischen ungläubigem Lachen über so viel naive Dummheit und blanker Empörung über die Boshaftigkeit der deutschen Projektinitiatoren.

„Super Idee, um Vorurteile abzubauen… die Ironie bei der Sache ist euch wohl nicht klar!?“

Oh doch. Die Ironie sehen wir. Aber worin besteht sie eigentlich genau? Es ist ja nun nicht so, als hätten wir das Rad völlig neu erfunden. So arbeitet zum Beispiel das Projekt „Rent an American“ seit Jahren erfolgreich für die Völkerverständigung, indem es amerikanische Studierende für Schulbesuche in deutschen Schulen vermittelt. Klingt der Titel dieses Projekts eigentlich ebenso provokant? Ich glaube, nein. Es ist wohl die Verbindung von Juden mit dem „Miet-Gedanken“, der das kollektive Unwohlsein verursacht. Zwei Faktoren spielen da eine wichtige Rolle: Erstens die traditionell antijüdische Verknüpfung von Juden mit Geldgeschäften – Die Wendung „Rent a Jew“ weckt anscheinend sofort die Assoziation von gewitzten Juden, die sich durch eine findige Geschäftsidee zu bereichern suchen. Da nützt es dann auch nichts mehr, hundertmal zu wiederholen, dass ein Schulbesuch, der über „Rent a Jew“ vermittelt wird, absolut nichts kostet (außer vielleicht netterweise der Erstattung der Anfahrtskosten der Referentin oder des Referenten). Zweitens die totale Objektifizierung von Juden (wie anderen verfolgten Minderheiten) im „Dritten Reich“, in den Konzentrations- und Vernichtungslagern. Und nun bieten sich Juden selbst und freiwillig als Mietobjekte an? Haben die’s denn nicht kapiert? Doch, haben sie. Sie bieten sich nicht als Miet-Objekte an, sondern gewissermaßen als Miet-Subjekte – niemand, der bei der Initiative mitmacht, gibt seine Selbstbestimmung auf. Es ist uns bewusst, dass jemand, der mit seiner oder ihrer persönlichen Geschichte vor eine Gruppe tritt, sich verletzbar macht. Eine potenzielle Gefahr besteht, dass die eigenen Grenzen überschritten werden. Daher tritt niemand einen Besuch an, ohne vorher eine Schulung durchlaufen und die eigenen Grenzen reflektiert zu haben.

Aber wozu dann nun dieser provokante Titel?

Im Frühjahr 2015 wurde das Projekt „Rent a Jew“ von jungen jüdischen Medienmachern, Lehrerinnen und Lehrern ins Leben gerufen. Die einen störte die einseitige Berichterstattung über Juden in den Medien (der heiße Sommer 2014 mit seinen Demonstrationen rund um den Nahost-Konflikt lag noch nicht lange zurück), die anderen berichteten, wie verblüfft ihre Schülerinnen und Schüler oft reagierten, wenn ihre Lehrerin sich als jüdisch outete. Kein Wunder, so war das Fazit beim Erfahrungsaustausch, denn die meisten Schülerinnen und Schüler beziehen ihr Wissen über Juden, das Judentum und Israel aus den Medien und aus ihrem sozialen Umfeld: Da sind die hitzigen Debatten um Nahostkonflikt oder die Beschneidungsdebatte. Junge Deutsche haben ein Klischeebild im Kopf, das auf der einen Seite geprägt ist durch Opas antisemitische Äußerungen bei der letzten Familienfeier: „Diese Juden müssen in Deutschland wegen Hitler immer noch keine Steuern zahlen. Deswegen wähle ich jetzt die AfD, denn es muss ja irgendwann auch mal gut sein mit der Schuld der Deutschen.“ Auf der anderen Seite sind sie im Schulunterricht informiert worden: „Juden sind ganz normale Menschen.“ – was ja nun unbestreitbar sachlich richtig ist, aber mangels konkreter Begegnungen dann leider doch häufig eine Worthülse bleibt. Daraus entsteht eine weit verbreitete Unsicherheit, die das Sprechen über Vorurteile, Stereotypen und Anklagen nahezu unmöglich macht. Aber worüber man nicht sprechen kann, daran kann man nichts ändern.

Im Judentum gibt es keine unverschämten Fragen

Wir haben es also für euch getan. Die Verbindung zwischen Juden und Geld, Juden und rechtlosen Objekten – sie ist einfach da, als Assoziation. Das führt so weit, dass einerseits „Jude“ als Schimpfwort auf Schulhöfen zu hören ist, andererseits Menschen sich gar nicht trauen, das Wort „Jude“ auszusprechen. Sie wollen ja nichts Falsches sagen. Aber wie sollen wir da anfangen, miteinander ins Gespräch zu kommen? Also bitteschön. Wir brechen das Eis für euch: Rent a Jew. Wie fühlt sich das an? Unbequem? Genau da wollten wir hin. Dann kann es ja nun losgehen. Wir sprechen jetzt mal aus, was ihr alle denkt. Und vielleicht können wir dann ja auch endlich einmal über etwas anderes reden.
Und wir haben es für uns getan. Denn wir wollen weder, dass „Jude“ ein Schimpfwort benutzt wird (offen oder hinter vorgehaltener Hand), noch wollen wir mit Samthandschuhen angefasst werden. Die heftigen Reaktionen auf beiden Seiten offenbaren die Angst und die Abwehr, die uns im Griff hat – auch wenn wir nicht gern darüber reden. Sie sind für mich die beste Bestätigung, dass es richtig ist, vielleicht sogar allerhöchste Zeit ist, endlich ein offenes Gespräch zu führen.

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