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Ausstellungsbetrachtung: Luther, Bach – und die Juden

Ausstellungsbetrachtung: Luther, Bach - und die Juden
Bereits im Bahnhof Eisenach wird man mit einem Banner begrüßt: Luther, Bach – und die Juden. Es wird eine der wenigen Ausstellungen des im nächsten Jahr anstehenden Lutherhypes sein, die sich kritisch mit dem Antijudaismus Luthers und den nachfolgenden Generationen auseinandersetzt. Auch, wenn nicht offizieller Teil des Lutherjahres, ist sie die positive Ausnahme. 

 

Ausstellung

Wieso eigentlich Luther im Bachhaus? Bachs Matthäus-Passion kann man nur verstehen (und kritisch betrachten), wenn man um Luthers Antijudaismus weiß. Und wie sah eigentlich die Realität der Juden während der Zeit Luthers und Bachs aus? Dem Direktor Dr. Jörg Hansen war bald klar, dass das Eine ohne das Andere nicht erklärbar ist und so beginnen wir hier im ersten Raum mit den Grundlagen: 
Luthers Antijudaismus „Drum immer weg mit ihnen“
Es wird versucht, Luthers Sichten und Urteile zu erklären, die Lebenswelt und Realitäten. Warum kam Luther zum Schluss, dass Juden wegen ihres Unglaubens ausgetrieben gehören und welche Folgen hatte das bereits in seiner Zeit und kurz danach?
Juden zur Bachzeit „Das gemeine Judenvolk“
Kannte Bach überhaupt Juden? Mit größter Wahrscheinlichkeit nicht. Er stützt sich auf die Autorität Luther mit seinen Schriften. Wie sah das Leben der Juden in Bachs Zeit aus? Die „Messejuden“ in Leipzig, die bestimmten restriktiven Auflagen unterlagen, wie alle Juden, so sie siedeln durften.
Bachs Bibliothek „Des jüdischen Volks Unglauben, Blindheit und Verstockung“
Woraus bezog Bach sein Wissen, seinen Glauben als strenger Lutheraner? Natürlich Bücher, primär Luthers Schriften. Wir gewinnen einen Eindruck, in welchem Glauben Bach aufwuchs. Zu beachten besonders, dass man im Bachhaus versucht, Bachs Bibliothek wieder zusammenzustellen. Nicht anders kann man Bachs Gedanken- und Lebenswelt versuchen zu verstehen.
Ausstellungsbetrachtung: Luther, Bach - und die Juden
Weiter geht es mit: Bachs Passionen „Fanatischer Hass in verschiedenfachsten Schattierungen“.
War Bach tatsächlich Antijudaist oder folgte er dem vermeintlichen Wissen, das durch Luthers Schriften Bachs Welt und Zeit bestimmte, der Juden zwar nicht mehr als die Mörder Jesu verurteilte, sondern als die verstockten Menschen sah, die nicht zum „rechten Glauben“ fanden, wie Luther es gern wollte. Wären die Auswirkungen nicht so dramatisch über die Jahrhunderte, wäre es doch geradezu lächerlich. Gelegentlich sehe ich vor innerem Auge, einen vor trotziger Wut aufstampfenden Luther, der seinen Willen nicht bekam. In diesem Geiste also, mit dem Glauben, dass Juden durch ihren Unglauben unrettbar seien und damit auszutilgen lebte auch Bach.

Wir verlassen Raum eins, noch die Musik im Ohr, die in einzelnen Stationen die Schrifttafeln und Bücher in den Vitrinen begleitet.

Eine Etage höher sehen wir schon am Schriftbild, dass sich die Zeiten ändern. Ging es im Teil eins noch um Grundlagen, so spielen hier Personen die Hauptrolle. 

Ausstellungsbetrachtung: Luther, Bach - und die Juden

Die Ausstellung geht der Frage nach der Wiederentdeckung der Musik des durchaus vergessenen Bachs nach. So war es Felix Mendelssohn Bartholdy, der die Passion 1829 in der Singakademie (heute Gorki Theater) wieder aufführte und nicht nur am Premierenabend fast überrannt wurde, sondern einen regelrechten Bachboom auslöste:
Außenseiter entdecken Bach „Sphärenklang im Staube“ 
Die Musikästhetik Kirnbergers unter Mitwirkung Moses Mendelssohns mit Bach als Ideal. Die Kinder und Enkel Mendelssohns wurden vielleicht dadurch so tief geprägt. Wir sehen Porträts, Biographien und Beweggründe der Verehrung Bachs bzw. seiner Musik, so von Moses Mendelssohn, Isaac Itzig und seine Töchter Sara, Fanny, Zippora, Hanna und Bella, Felix Mendelssohn Bartholdy, Fanny Hensel, Ignaz Moscheles, Joseph Joachim. Menschen, Juden, ohne die Bachs Passion womöglich vergessen wären. 

 
Ausstellungsbetrachtung: Luther, Bach - und die Juden

Die Frage wird gestellt, wieso gerade die Juden? Selbst Felix Mendelssohn-Bartholdy scheint es nicht ganz beantworten zu können und so ist von der (verwundert amüsierte?) Ausspruch überliefert:

„Ein Judenbengel und ein Komödiant haben dem deutschen Volke die Matthäus-Passion wieder geschenkt.“

Eine kurze Geschichte der Wiederentdeckung findet man übrigens im sehr unterhaltsamen Film „Als wie ein Lamm“ – Die Matthäus-Passion, der wie die Ausstellung selbst auf Deutsch, Englisch, aber auch Ivrith verfügbar ist. Nicht mehr ganz dem Forschungsstand entsprechend, dieser wird aber in der Ausstellung korrigiert. Der Film, ursprünglich für die Jerusalemer Ausstellung über Bachs Matthäus-Passion von den „Buchstabenschubsern“ produziert, bringt der Ausstellung die nötige Leichtigkeit. Mit freundlicher Genehmigung des Bachhauses hier auch zu sehen:

Was wie eine eindeutige chronologische Schau erscheint, wird unterbrochen durch Rezeptionen im Nationalsozialismus. So zum Beispiel der Hinweis auf das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ das sich eben hier und nicht ohne Grund in Eisenach befand. Wir finden eine Reihe von Heften, mit dem die Vertreibung der Juden historisch begründet werden sollte – Grundlage: Luther. Ein Blatt des Stürmers, der die durch Luther wiederholte Lüge vom Ritualmord – die uns bis heute begleitet. Hansen versucht, Zusammenhänge aufzuzeigen, zum Nachdenken anzuregen. Auch hier werden wir von Musikbeispielen begleitet. (Mein Favorit übrigens Concerto D Minor, BWV 105,2 (eigentlich für Streicher) von Ling-Ju Lai,  auch ganz pur am Klavier funktioniert. Bachverehrer mögen mich dafür verurteilen.)

Ausstellungsbetrachtung: Luther, Bach - und die Juden

Fazit:

Die Ausstellung fragt, was Bach dazu bewog, seinen Antijudaismus in die Musik zu tragen und somit noch mehr zu helfen, diesen zu verbreiten. Hat sie tatsächlich zum Hass beigetragen oder stimmt doch der Ausspruch: „Die Predigt kommt nicht von der Empore, sondern von der Kanzel.“? Ebenso versucht sie, die Frage zu beantworten, warum es Juden waren, die Bach wieder zu neuem Ruhm verhalfen und ob ihre Religion oder Herkunft eine überhaupt eine Rolle spielte. Sie bietet Denkanstöße. War es der Hintergrund Bachs, der Inhalt der Passion oder nicht eher die Musik an sich? Klar ist, dass ohne diese hier gezeigten Frauen und Männer all das nicht möglich gewesen wäre. Das ins Gedächtnis zu rufen, es überhaupt bei den weniger Musikgeschichtsbewanderten bekannt zu machen, gelingt. Es ist ein Versuch, ein Gedankenanstoß, ein gelungener.
Die Eisenacher Ausstellung wird, wie es aussieht eine Ausnahme sein. Die großen Lutherausstellungen im kommenden Jahr werden das ungeliebte Thema Antijudaismus aussparen, nicht nur deshalb sollte dieser Ausstellungssolitär schon fast Pflichtprogramm sein. Der Bogen zwischen Luther, Bach und Neurezeption gelang.
Es wäre noch mehr erzählbar gewesen, noch mehr Raum hätte man füllen, noch mehr Fragen stellen können und doch musste man sich auf kleinen Raum beschränken. Das ist es, was ich dem Bachhaus wünsche und was ihm trotz des wunderbaren Neubaus und seiner Dauerausstellung (Angelika beschreibt es in ihrem Blogpost ganz wunderbar ausführlich hier) fehlt: Platz für Sonderausstellungen. Dieser ist mehr als beschränkt und offensichtlich provisorisch. Hansen hat noch viele Ideen, fast unerschöpflich scheint das Thema Bach in allen Zusammenhängen zu sein, all das sollte einen ausreichenden Rahmen haben können, um tiefer zu gehen, tiefer gehen zu können und auch besonders schützenswerte Objekte zeigen zu können, die bestimmte Klimata verlangen.
Die Ausstellung „Luther, Bach – und die Juden“ wird bis zum 28. Februar zu sehen sein. Inzwischen kann man nach Eisenach auch einen Tagesausflug machen. Per Zug über Erfurt dauert es nur 2 1/2 Stunden dorthin zu kommen und es lohnt! Planen sie in diesem Jahr unbedingt einen Besuch und kombinieren sie es vielleicht auch mit der neuen Dauerausstellung im Lutherhaus. Eisenach hat mehr zu bieten als Wartburg.

Impressionen: 

Ausstellungsbetrachtung: Luther, Bach - und die Juden

Ausstellungsbetrachtung: Luther, Bach - und die Juden
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Ausstellungsbetrachtung: Luther, Bach - und die Juden
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Ich durfte die Reise auf freundliche Einladung von ARTEFAKT Kulturkonzepte Berlin unternehmen. Vielen herzlichen Dank nochmal dafür.

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