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#2 Weggabelung

#2 Weggabelung
Das heutige Thema des NaBloPoMo ist also Weggabelung: 
große Entscheidungen und mögliche andere Leben. 
Ich denke immer, dass ich nie wirklich entschieden habe. Das Leben ist einfach passiert, oder wenn wir beim Bild des Weges bleiben wollen, ich habe mir eben auch gern – manchmal auch nicht gleich gern, die Seitenstraßen angesehen. Ungeahnte Nachbarschaften eröffnen sich, schöne Landschaften aus denen man nicht mehr zurückkehren will.

Vermutlich ist in meinem Leben auch verhältnismäßig mehr passiert als im Leben eines Durchschnittsmenschen. Gut und gesund war das nicht immer. Ich überlege also. Große Entscheidungen. Mich endgültig fürs Judentum zu entscheiden mag vielleicht eine dieser Entscheidungen sein, aber gab es eine Alternative? Für mich nicht. Um so unvorstellbarer wäre, ein anderes Leben zu denken. Es ist und war doch immer mein Leben. 
Vielleicht ist und war diese große Entscheidung, wieder nach Deutschland zurückzukommen, wieder zurück nach Berlin, der USA den Rücken zu kehren. Ich denke, das war die größte Entscheidung und ein völlig anderer Lebensstil. Es muss gesagt werden, dass ich nicht zurückkehrte, weil ich enttäuscht von einem Traum war. Ich wollte nie in die USA, sie interessierte mich schlicht nicht sonderlich. Auch der Schüleraustausch mit 17 änderte nicht viel daran. Ich hatte wunderbare Freunde gewonnen. Aber dort leben? Für mich verhieß auch schon mit 17 Europa mehr Freiheit. Seltsam. Manchmal sind es eben doch die kleinen Dinge. Jahre später lernte ich dann diesen Mann kennen, ein sanfter aufmerksamer Mann. Irgendwann besuchte ich ihn in NYC, von da ging alles sehr schnell. Die meiste Zeit der folgenden Jahre hieß dann das Zuhause Miami. Ich liebte das Wetter, die Natur, die Everglades, sogar die Stadt in ihren alten Vierteln. Die riesigen Bäume, die Sehkühe, Schildkröten und immer wieder die Sonne. Ich liebte es – nur intellektuell verdurstete ich. Irgendwann hat man alle Museen gesehen (und das geht sehr schnell in Miami), die Buchläden bieten auch nicht das, was man wirklich sucht und ich vermisste Berlin. Ich vermisste die einfachen Cafés, in denen man stundenlang sitzen konnte, Menschen beobachten, in denen man nicht permanent konsumieren musste, um sitzen bleiben zu dürfen. Ich vermisste, einfach überall hin laufen zu können und nicht immer das Auto nehmen zu müssen. Und dann kam irgendwann der Punkt, dass ich bei einem Besuch in Berlin endgültig entschied, nicht wieder zurückzugehen, weil ich das Leben, dass mich dort erwarten würde nicht haben wollte.
Wie hätte dieses Leben ausgesehen? Nun, ich wäre sicher keine „Desperate Houswife“ geworden, wie viele der Gattinen der Kollegen des Verflossenen. Aber wäre es wirklich nicht näher dran gewesen? Ich hätte in irgendeinem jüdisch-sozialen Zentrum ehrenamtlich meine Tage verbracht, mich vielleicht um Kinder gekümmert. Gerade kam dort das Thema eines Programms für Kinder mit Behinderungen auf. Als Sonderpädagogin hätte das ja gepasst…nun ja, aber nur in jüdischen Kreisen wollte ich doch nie verkehren. Ich wäre regelmäßig in die Mall gefahren und hätte regelmäßig nicht gewusst, was ich da soll. Ich hätte angefangen, mir Bücher aus Europa zu importieren, mich vermutlich sehr zurückgezogen. Irgendwann wären dann auch die dazugehörigen Kinder gekommen und ich hätte glücklich sein sollen. Ich wäre es nicht gewesen.
Deshalb und nicht nur deshalb bin ich froh mit dieser großen Entscheidung zu leben. Überhaupt bin ich im Nachhinein mit allem froh, was mir passiert ist. Ich habe Zeiten gehabt, in denen ich nicht wusste, wie ich mir Essen kaufen sollte und Zeiten in denen ich in Luxushotels Urlaub machte. Ich betrachte das Leben als Abenteuer und bin jeden Tage gespannt, was als nächstes kommt, vielleicht aber auch als Fluss, in dem ich mich gern treiben lasse. Wenn dann ein spannender Seitenarm kommt, schwimme ich da entlang. Wer will schon die Wege schwimmen, die alle nehmen?
Dieser Beitrag wurde in der NaBloPoMo-Reihe geschrieben, jeden Tag im Juli ein Post bloggen. Mehr dazu gibt es hier zulesen.

Ein Kommentar

  1. Makellosmag Makellosmag

    Wow, ich muss aufhören bei dir zu lesen sonst will ich am nächsten Tag gar nicht mehr bei mir weiter schreiben. Persönlich, tiefgründig & super geschrieben.

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